Bewegungswissenschaft
Selbstorganisation des motorischen Verhaltens.
Tabelle 8 benennt die Charakteristika der beiden wichtigsten Grundpositionen der mixed approaches und deren koordinationstheoretischen Gegenspieler. Das Konzept der Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung erläutert das motorische Regelkreismodell von M EINEL und S CHNABEL (1998; M EINEL , 1977; Kap. 3.1). Die Theorie generalisierter motorischer Programme von S CHMIDT (1975, 1976, 1988) steht als ein geradezu idealtypisches Beispiel für die Grundidee der Programm- und Parametertrennung (Kap. 3.2). Ausgewählte Gegenpositionen zu den mixed approaches bespricht Unterkapitel 3.3.
Tab. 8: Informationstheoretische Grundkonzepte der Bewegungskontrolle
3.1 Wie funktioniert die Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung?
Die Konzepte der Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung (mixed approaches) betrachten den Menschen als ein dynamisches, selbstorganisierendes Wesen, das seine motorischen Handlungen auf der Basis eng kooperierender, zentralnervöser und peripherer Teilsysteme und Funktionsprozesse kontrolliert. Vereinfacht ausgedrückt entstehen Willkürbewegungen durch die Aneinanderreihung einzelner motorischer Sequenzen, die zu Bewegungsbeginn durch rudimentäre motorischer Programme initiiert werden. Parallel hierzu erzeugt ein übergeordnetes Hirnzentrum auf der Grundlage der biografischen Erfahrungen des Individuums mit ähnlichen motorischen Aufgabenstellungen und Umweltsituationen spezielle sensorische Referenzwerte für die Korrektheit der Bewegungsausführung (Extrapolation in die Zukunft). Die Sollwerte werden während der Realisierung der motorischen Handlung mit den (Re-)Afferenzen (Istwerte) verglichen (Closed-Loop-Kontrolle; vgl. Lektion 3 ). Bei Sollwert-Istwert-Differenzen passen spezielle Korrekturprogramme die Bewegung so lange an die aktuellen Bedingungen des motorischen Systems und der Umwelt an, bis keine Fehlermeldungen mehr auftreten. Den größten Bekanntheitsgrad besitzt in der deutschsprachigen Sportwissenschaft das in Abbildung 37 schematisierte motorische Regelkreismodell von M EINEL und S CHNABEL (1998; M EINEL , 1977).
Abb. 37: Blockschaltbild des motorischen Regelkreismodells von M EINEL und S CHNABEL (mod. nach M EINEL & S CHNABEL , 1998, S. 42)
Die koordinationstheoretischen Annahmen über die Kontrollprozesse willkürlicher Bewegungen stützen die beiden Autoren auf die deskriptiv-phänomenologischen Bewegungsanalysen des sowjetischen Neurophysiologen B ERNSTEIN (1967, 1988) und grundlegende biokybernetisch-psychologische Kenntnisse (V ON H OLST & M ITTELSTAETT , 1950). Zu den Schlüsselelementen der Bewegungsorganisation zählen die vorab strukturierten rudimentären motorischen Programme die sensorischen Sollwertschätzungen der Bewegungsausführung, das Feedback, die Fehleraufdeckung, die wechselseitig miteinander verbundenen zentralnervösen (Programmvorsteuerung) und peripheren Kontrollstrategien (spinalmotorische Systemregelung), die Korrekturprogramme sowie ein mehr oder minder großer Anteil kognitiver, motivationaler, volitiver und emotionaler Einflussfaktoren.
Das Handlungsziel (Führungsgröße) wird der Skelettmuskulatur über die effektorischen Instruktionen (Bewegungsprogramme) aus dem Zentralnervensystem übermittelt ( vgl. Abb. 37 ). Die im motorischen Gedächtnis gespeicherten rudimentären Rahmenprogramme beinhalten grobe Informationen über die zeitliche und dynamische Gliederung der Bewegung und die sensorischen Sollwertschätzungen der Korrektheit der Bewegungsausführung. Beim Freiwurf im Basketball prägt das Handlungsziel „Korbtreffer“ die Bewegungsstruktur. Bevor der Basketballspieler die Vorbereitungsphase des Freiwurfs einleitet, entscheidet er sich für ein spezielles, den Ablauf des Freiwurfs bestimmendes motorisches Programm. Viele Sportler erproben zunächst mental die Bewegungsvorausnahme und beginnen erst dann mit der eigentlichen motorischen Handlung.
Die rudimentären Rahmenprogramme werden im Verlauf der Bewegung durch Regelvorgänge und Unterprogramme weiter differenziert und bei Bedarf durch spezielle Korrekturmuster modifiziert. Die Realisation des geplanten Bewegungsziels gewährleisten zwei eng miteinander verbundene Koordinationsstrategien.
Die erste Strategie besteht in der Konstanthaltung des motorischen Programms durch die Kompensation möglicher Störvariablen. Bei Sollwert-Istwert-Differenzen initiiert das Zentralnervensystem so lange
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