Bewegungswissenschaft
Korrekturmaßnahmen, bis die Körperextremität den vorausgeplanten Zielpunkt erreicht hat. Geringfügige Anpassungen an unvorhersehbare Störungen des Bewegungsablaufs erfolgen durch kurzfristige Veränderungen des Bewegungsumfangs und der Winkelwerte einzelner Körpergelenke, ohne die invarianten zeitlichen und dynamischen Bewegungsmerkmale zu verändern. Für die situative Anpassung der Bewegungsprogramme bestehen zwischen dem motorischen Gedächtnis, der Bewegungsprogrammierung und dem Sollwert-Istwert-Vergleichsmechanismus enge Wechselbeziehungen. Die propriozeptive Informationsaufnahme (Linearsinn, Drehsinn, kinästhetische Sinne) erfolgt über den inneren Regelkreis, die exterozeptive Reizaufnahme(visuelles, akustisches System) über den äußeren Regelkreis. Ist die Kompensation der Störung durch adaptive Programmumstellungen nicht zu erreichen, greift die zweite Koordinationsstrategie, die qualitative Reorganisation des motorischen Programms.
Das motorische Regelkreismodell von M EINEL und S CHNABEL kann nach dem heutigen Wissensstand der Motorikforschung die Koordination langsamer (> ca. 200 ms) oder auf einem konstanten Wert zu haltende Bewegungen angemessen erklären. Bei schnell ausgeführten motorischen Handlungen (bis ca. 200 ms) ist das Zeitintervall zu kurz, um Fehler aufzudecken und Korrekturmaßnahmen zu initiieren. Die überaus schnellen Bewegungstechniken der Zweikampfsportarten wie die Gerade von Max Schmeling oder Henry Maske (80-100 ms) sind hierfür gute Beispiele. Massive Kritik erfährt das Konzept der Programmvorsteuerung mit kontinuierlicher Systemregelung hinsichtlich der implizit angenommenen unbegrenzten Speicherkapazität des menschlichen Hirns, da für jede motorische Aktion ein eigenständiges Startprogramm und eine sensorische Referenz für die Korrektheit der Bewegungsausführung bestehen soll (1:1-Speicherung; vgl. Lektion 4 ).
3.2 Was besagt das Konzept der Programm- und Parametertrennung?
Die Grundidee der Programm- und Parametertrennung (mixed approaches) geht auf die im Bereich der Psychomotorik entwickelte Theorie generalisierter motorischer Programme von R. A. S CHMIDT (1975, 1976, 1988) zurück. In beeindruckender Weise verbindet die GMP-Theorie neurophysiologische Kenntnisse und scheinbar divergierende Open- und Closed-Loop-Elemente miteinander ( vgl. Abb. 38 ). Ausgangspunkt ist die parallele Informationsverarbeitung in einem zwingend notwendigen Open-Loop-Modul und einem potenziellen Closed-Loop-Modul.
Abb. 38: Schematische Darstellung eines motorischen Kontrollsystems mit paralleler Informationsverarbeitung in einem Open- und Closed-Loop-Modul
Generalisierte motorische Programme beschreibt S CHMIDT in Analogie zu den Algorithmen elektronischer Computer als vorab strukturierte Gedächtnisrepräsentationen, die zwei Arten von Spezifikationen näher bestimmen. Die eine Art, die nicht austauschbaren Programmkomponenten ( Programminvarianten ), schreiben die zeitliche und dynamische Bewegungsstruktur fest. Die situative Anpassung der motorischen Rahmenprogramme erfolgt durch eine zweite Art von Spezifikationen, die variabel zu bestimmenden Programmparameter . Bei ausreichender Bewegungszeit kann das generalisierte motorische Programm während der Ausführung auf der Grundlage des Vergleichs der erwarteten und tatsächlichen sensorischen Konsequenzen innerhalb bestimmter Grenzen korrigiert werden.
Der ursprüngliche Gültigkeitsbereich der Theorie
generalisierter motorischer Programme umfasst einfache, schnelle Bewegungen (150-200 ms) und langsame Positionierungsfertigkeiten (200 ms bis 5 s). Eine wesentliche Erweiterung erfährt die GMP-Theorie durch die umfassende Übertragung auf die komplexen Bewegungstechniken des Sports durch R OTH (1989: Handballschlagwurf) und W OLLNY (1993: Bewegungsfertigkeiten der rhythmischen Sportgymnastik, Kippaufschwung im Gerätturnen, sportliches Gehen, Aufschlag und Vorhandschlag im Tennis).
Obwohl verschiedene Autoren die GMP-Theorie in den letzten Jahren berechtigterweise kritisieren und die empirische Befundlage in Teilbereichen widersprüchlich ist, zeigen ihre logische Geschlossenheit und empirisch überprüfbaren Vorhersagen über die Motorik offensichtliche Stärken. Für das Lehren und Lernen im Sport zählt das koordinationstheoretische Modell von S CHMIDT zu den erfolgreichsten psychologischen Theorien über die Bewegungskontrolle. Aus den koordinationstheoretischen Grundannahmen lassen sich zahlreiche praxistaugliche
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