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Bewegungswissenschaft

Bewegungswissenschaft

Titel: Bewegungswissenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wollny
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zunehmender Bewegungserfahrung verdichtet sich die Punktwolke, ordnet sich nach bedeutsamen situativen Bedingungsklassen und abstrahiert zu Regelgeraden. Je besser die Vorstellung einer Regel über den Zusammenhang zwischen dem Bewegungsergebnis und der Parameterspezifizierung wird, desto zuverlässiger können situationsangemessene Parameterwerte abgeleitet werden, auch wenn diese niemals zuvor in dieser Weise realisiert wurden.
    Die schematischen Regeln der Wiedergabeschemata stellen R OTH und S AHRE (1990) als Regressionsgeraden in einem zweidimensionalen Koordinatensystem dar ( vgl. Abb. 42 ). Der x-Wert entspricht dem Bewegungsergebnis, während auf der y-Achse der Programmparameterwert abgetragen wird. Jeder Bewegungsversuch ist anhand eines einzelnen x-y-Koordinatenpunkts eindeutig zu identifizieren. Bei der Parameterauswahl wird das geplante Bewegungsergebnis B auf der x-Achse abgetragen und in Abhängigkeit von den Ausgangsbedingungen die am besten zutreffende Regel ausgewählt (z. B. S1-S4 ). Die Vorhersage und die Berechnung des Parameterwerts basiert auf dem mathematischen Prinzip der linearen Regression, indem die Punktwolke durch die hineingelegte Gerade nach dem Prinzip der kleinsten Abweichungsquadrate annähernd zu beschreiben versucht wird. Bei bekanntem Bewegungsergebnis (x-Wert) schätzt die Gleichung y = a x + b einen situationsangemessenen Parameterwert A .

    Abb. 42: Motorisches Wiedergabeschema mit den Einzelregeln S1-S4 (mod. nach R OTH & S AHRE , 1990, S. 22)
    Dem Wiedererkennungsschema (recognition schema) unterliegt die Spezifikation des gewünschten Outputs des Bewegungsprogramms, die Fehlerkorrektur der zentralnervösen Bewegungsprogrammierung und die Kontrolle langsamer Bewegungen (200 ms bis 5 s). Eine wichtige Funktion kommt dem Wiedererkennungsschema bei der Korrektur von Fehlern in der zentralnervösen Bewegungsprogrammierung zu. Seine Regeln entwickeln sich aus den Erfahrungen mit den situativen Ausgangsbedingungen, den Informationen über das Bewegungsergebnis und dem sensorischen Feedback der Bewegungsausführung. Die sensorischen Sollwertschätzungen des gewünschten Ergebnisses vergleicht der Mensch während der Bewegungsausführung mit den exterozeptiven und propriozeptiven Rückmeldungen. Bei auftretenden Sollwert-Istwert-Differenzen werden entsprechende Korrekturmaßnahmen veranlasst.
    Trotz vielfältiger Plausibilitätsannahmen und zahlreicher empirischer Bestätigungen sind die Prädiktionen der GMP- und Schematheorie von S CHMIDT nicht ohne kritische Widersprüche geblieben. Bemängelt wird insbesondere das Fehlen fundierter Aussagen über die Aneignung und die Auswahl motorischer Rahmenprogramme und Schemata. Die Erklärung der Bewegungskontrolle beginnt bei S CHMIDT erst nach der Bereitstellung des motorischen Rahmenprogramms mit der Spezifizierung der Parameterwerte durch das Wiedergabeschema. Des Weiteren fehlen konkrete Antworten auf die Frage, welche neurobiologischen Strukturen des Zentralnervensystems sich ander Bildung generalisierter motorischer Programme beteiligen. Darüber hinaus stehen den Evidenzen für die Bestätigung der GMP- und Schematheorie neuere koordinationstheoretische und experimentelle Befunde aus der Neurobiologie, der Psychologie und der Sportwissenschaft gegenüber, die nicht in allen Punkten mit den Annahmen von S CHMIDT über die Bewegungskoordination zu vereinbaren sind (H EUER , 1984; W ULF , 1985, 1989; M UNZERT , 1987, 1989; V OGT , 1988). Schließlich wird kritisiert, dass die von S CHMIDT spezifizierten metrischen Programmparameter aus kybernetischer und biomechanischer Sicht nicht ausreichen, um zielgerichtete Bewegungen angemessen zu koordinieren.
3.3 Wer kritisiert die mixed approaches?
    Die charakteristischen Merkmale der drei wichtigsten koordinationstheoretischen Gegenpositionen zu den mixed approaches – die ökopsychologischen Handlungstheorien, der Konnektionismus und die Modularitätshypothese – betreffen den Verzicht auf zentral gespeicherte Bewegungsrepräsentationen und die Betonung radikaler Closed-Loop-Vorstellungen über die Bewegungsorganisation. Propagiert werden die Selbstorganisation der Motorik und spezielle invariante Umweltinformationen, die mit geringen kognitiven Verarbeitungsprozessen direkt in die Bewegungskontrolle eingehen.
    Nach den Vorstellungen ökopsychologischer Handlungstheorien (action approaches; Kap. 3.3.1) unterliegt die Bewegungskontrolle selbstorganisierten biologischen Strukturen, die durch

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