Beweislast
schlimm.«
»Fünfhundert Euro«, meinte er tonlos und verbittert. »Mindestens.«
Sie streichelte ihm übers Haar. Als seine Hand die ihre berührte, erschrak sie. Er war kalt. So kalt wie bei einer Leiche, dachte sie und war über diesen Vergleich schockiert. Gerhard hatte sich aufgeregt. Er konnte die Ruhe selbst sein, wenn es nicht um ihn ging. Doch sobald er selbst der Betroffene war, das hatte sie in all den Ehejahren oft genug erfahren, dann verlor er sehr schnell die Kontrolle.
Er ging in die Knie, um den Schaden besser begutachten zu können. Monika gab sich geduldig. »Das sieht doch niemand.«
Ketschmar betastete das zersprungene Plastikteil. »Verdammt!«, entfuhr es ihm. Dann stand er wieder auf und deutete seiner Frau an, dass er die Garage verlassen wolle. Ihm standen dünne Schweißperlen auf der Stirn, obwohl es kalt war.
Drüben in dem mit Kiefernmöbeln eingerichteten Esszimmer sah er aus dem Fenster. Die Nacht war hereingebrochen. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, knüpfte er an das Gespräch in der Garage an, während seine Frau am Tresen stehen blieb, der das Zimmer von der Küche optisch trennte. »Das kann jedem passieren«, versuchte sie ihn zu trösten, doch er winkte ab.
»Das kann jedem passieren«, wiederholte er genervt, »ja, jedem – nur kann sichs nicht jeder leisten, es wieder reparieren zu lassen.« Er verschränkte die Arme.
»Wir müssens doch nicht reparieren lassen«, meinte Monika und tat so, als ob ein kleiner Blech- oder Plastikschaden das Normalste auf der Welt wäre.
»Natürlich nicht, Monika. Natürlich nicht. Aber du siehst schon jetzt, wie es losgeht. Wir nehmen es halt hin, dass etwas nicht mehr so ist wie es war. Weil wirs uns nicht mehr leisten können.« Er schluckte. »Und so wird ein Stück nach dem anderen vergammeln und vor die Hunde gehen. Was glaubst du, welche Reparaturen eines Tages noch mit dem Haus auf uns zukommen? Weißt du, was eine Handwerkerstunde kostet?«
Sie erwiderte nichts.
»Wenn du etwas reparieren lässt, sind ruckzuck einige Hunderter weg. Ruckzuck. Was glaubst du, wie schnell unser Vermögen weg ist!« Jetzt war er wieder so weit, dachte Monika. Wie oft hatte er dies schon gesagt? Sie ließ ihn reden, weil sie den Eindruck hatte, dann würde es ihm leichter.
Doch es fiel ihr zunehmend schwerer, ihn zu trösten. Denn was sollte sie schon dagegensetzen? Im Grunde genommen hatte er recht. Sie würden ganz tief fallen.
»Wie ist dir das denn passiert?« Sie versuchte es mit einem Ablenkungsmanöver.
»Beim Wegfahren. An der Ausfahrt aus dem Hof liegen Stämme. Ich hab sie nicht gesehen, ja, einfach nicht gesehen.«
»Und sonst ist aber nichts passiert?«
Er zuckte zusammen und schaute ihr fest in die Augen. »Was soll denn sonst noch passiert sein? Wie kommst du denn da drauf?«
5
Ketschmar verkroch sich in sein winziges Büro, das er sich unter der Dachschräge des Hauses eingerichtet hatte. Er würde Bewerbungen schreiben, hatte er Monika gesagt, die das Nachtessen zubereiten wollte. In Wirklichkeit lehnte er sich in seinem Schreibtischsessel nach hinten und versuchte, durch das Dachfenster in der Schwärze der Nacht etwas zu erkennen. Doch der Hochnebel hatte sich wie ein bleischwerer Deckel auf die Landschaft gelegt. Wie ein Sargdeckel, dachte er trübsinnig. Er wollte einen klaren Gedanken fassen, was ihm aber seit Wochen nicht mehr wirklich gelang. Zunehmend hatte er den Eindruck, alles ginge schief, alles und jeder hätten sich gegen ihn verschworen. Seit er keinen Job mehr hatte, gab es kein einziges Erfolgserlebnis mehr. Sein Magen rebellierte, die Nächte blieben ohne Schlaf. Es fiel ihm auch immer schwerer, sich auf etwas zu konzentrieren. Zum Leidwesen von Monika hatte er viele Einladungen abgesagt, auch bei den besten Freunden. Er mied Veranstaltungen, bei denen Eintritt verlangt wurde. Und auch die Restaurantbesuche, die sie früher so gerne gemocht hatten, waren weniger geworden. Noch hätte dazu kein Grund bestanden. Noch bekam er 60 Prozent seines letzten Nettogehalts.
Und jetzt auch noch das beschädigte Auto. Während der Bildschirmschoner bunte Ornamente zeichnete und kreisen ließ, goss er sich einen Whisky ein, den er in seinem Aktenschrank stehen hatte. Für Fälle wie jetzt. Der Most hatte ihm nicht gut getan. In seinem Magen rumorte und blubberte es.
Er nahm einen großen Schluck und spürte die wohlige Wärme in sich. Ketschmar wusste, dass er mit Alkohol die Probleme zwar kurzfristig
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