Beweislast
Telekom. Der Anruf der unbekannten Frau war aus einer Telefonzelle gekommen – und zwar aus Esslingen. »Am Bahnhof«, fügte er hinzu. »Wär ja auch zu schön gewesen.«
Häberle nickte.
Speckinger hatte den ganzen gestrigen Sonntag über Akten gewälzt. »Esslingen ist aber trotzdem interessant. Ich mein, was die Richtung betrifft.«
»Gar nicht mal so schlecht«, lobte Häberle, »der Eckert wohnt in Echterdingen, was gleich ums Eck ist – und der Hornung vom Arbeitsamt in Plochingen, was ebenfalls zum Landkreis Esslingen zählt.«
Die drei Männer schwiegen nachdenklich.
»Der Eckert«, begann der Kommissar schließlich, »der hat, glaub ich, auch nicht ausgeschlossen, dass sich Ketschmar mal bei ihm beworben hat. Wenn ich mich richtig entsinne, hat er auf meine Frage, ob er noch Leute in diesem Alter einstelle, irgendetwas Abwertendes gesagt. Die seien doch eh immer krank – oder so ähnlich.«
Speckinger grinste. »Dann hätt der Ketschmar aber eher ihn umbringen sollen als den Grauer. Was macht denn das wieder für einen Sinn?«
»Vielleicht war er es wirklich nicht«, seufzte Häberle und umklammerte mit seinen kräftigen Händen die Lehne seines Schreibtischsessels. Dann wechselte er das Thema: »Die Ermittlungsergebnisse habt ihr dem Landgericht bereits zugefaxt?«
»Ja, klar«, bestätigte Linkohr eifrig. »Sie sind heut Nachmittag dran?«
»14.30 Uhr«, erklärte Häberle, »ich befürchte, dass mich beide Seiten auseinander nehmen.« Er lächelte. »Bis dahin wollen die Jungs nochmal fliegen und mit einer Hundestaffel durch das Gelände gehen.« Häberle hatte eine weitere Suchaktion veranlasst.
Speckinger hob die Stuttgarter Zeitung hoch, die er mitgebracht hatte. »Auch die überregionalen Blätter haben jetzt die Vermisstenmeldung gedruckt – aber bisher kein einziger Hinweis.«
»Und was schlagen Sie für uns vor?«, wollte Linkohr wissen.
»Ihr geht nochmal da raus«, entschied der Chefermittler, »hört euch auch mal in den weiter entfernt gelegenen Höfen um. Und noch was würd mich interessieren …«
Er suchte in seinen Aktenkörbchen nach der Zeugenvorladung zur Schwurgerichtskammer.
Speckinger wartete gespannt auf das Ende des begonnenen Satzes. Als Häberle das Blatt gefunden hatte, machte er weiter: »Ja, mich würd interessieren, was die Landwirte in diesen Tagen tun.«
Seine beiden Kollegen waren von dieser Idee sichtlich überrascht.
»Ja«, erklärte Häberle deshalb, »was jetzt ansteht.« Er sah Linkohr und Speckinger nacheinander an. »Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt, so heißt es doch, oder? Der Märzen ist schon vorbei – also, was ist in diesem kühlen April angesagt? Wird jetzt was gesät oder gestupft, gesetzt oder geackert? Ich hab leider viel zu wenig Ahnung von der Landwirtschaft. Jedenfalls muss sich etwas tun. Stinken tut es ja schließlich auch bestialisch.«
Linkohr nickte. Er entsann sich an gestern.
64
Es war die Woche, in der sich nach einem langen kalten Winter die große Autokarawane auf den Weg Richtung Süden machte. Ostern stand vor der Tür. Als Ketschmar an diesem Montagmorgen durch den unterirdischen Gang ins Gerichtsgebäude hinübergebracht und mit dem Lift bis zum ›Käfigzimmer‹ hochgefahren wurde, überfiel ihn wieder die Wehmut, die ihn jedes Mal beschlich, wenn er daran denken musste, wie schön es jetzt wäre, mit Monika in Urlaub zu fahren.
Wieder würdigte er die Besucher keines Blickes, während er nach vorne gebracht wurde. Er nahm bei Manuel Platz. Der Psychiater war bereits in seine Akten vertieft, der grimmig dreinschauende Staatsanwalt blätterte in der Tageszeitung und die Protokollführerin mühte sich an ihrem Computer ab.
Nachdem die fünf Mitglieder der Schwurgerichtskammer hereingekommen waren und sich die Zuschauer erhoben hatten, um sich sogleich wieder zu setzen, eröffnete Muckenhans den dritten Prozesstag. »Wir haben heute ein großes Zeugenprogramm«, stellte der Vorsitzende fest, während sein Nebensitzer drei Aktenordner vor sich gruppierte.
»Als Ersten hab ich auf meiner List den Herrn Simon Eckert«, sagte Muckenhans und wollte bereits einen der Wachtmeister auffordern, den Zeugen hereinzurufen, als Manuel Traknow die Hand hob und ums Wort bat. »Entschuldigen Sie, Herr Vorsitzender, aber mein Mandant möchte eine Erklärung abgeben.«
Ein Raunen ging durch den Zuschauerraum.
Der Wachtmeister, der bereits aufgestanden war, um Eckert hereinzurufen, nahm wieder Platz.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher