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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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einzigen Fenster zu der nur zwei Meter breiten Gasse, in die nie ein Sonnenstrahl gelangte. Im Zimmer war es so dunkel, dass man sogar tagsüber Licht machen musste. Es war mit einem Bett, einem Schrank, einem Tisch und Stuhl spartanisch möbliert, eine Küche fehlte, links neben der Eingangstür gab es lediglich eine Nasszelle mit Toilette, Dusche und Waschbecken. Die Wohnung war heruntergekommen und seit über zwanzig Jahren nicht mehr renoviert worden. Zwischen Bett und Schrank stand ein kleiner Kühlschrank, aus dem Gianni jetzt eine Flasche Weißwein nahm.
    »Möchtest du?«, fragte er. »Ist schön kalt.«
    Raffael nickte. »Au ja, gern. Da kann ich jetzt drauf.« Er ging zum Fenster und sah in die enge Gasse, in der man den Leuten im Haus gegenüber die Hand schütteln konnte, wenn man sich nur weit genug vorbeugte. »Nun gut, das ist nicht gerade der sensationellste Ausblick, aber was soll’s? Hauptsache, du hast deine eigene Bude und deine Ruhe. Und niemand labert dich voll, wenn du mal ’ne Nacht nicht nach Hause kommst.«
    Sie tranken jeder ein Glas Weißwein, während Gianni schwieg. Es war ein Fehler, die Flasche aufzumachen, dachte er, wir sollten hier so schnell wie möglich abhauen, es ist schrecklich, in diesem Zimmer kann man keinen Besuch empfangen, es zieht einen nur runter.
    Er stand auf und stellte die angebrochene Flasche in den Kühlschrank.
    »Komm, wir gehen. Draußen ist schöner.«
    Raffael nickte und folgte Gianni hinaus in die brütend heiße Stadt.
    »Hast du eigentlich ’ne Freundin?«, fragte Raffael, während sie in Richtung Piazza del Campo schlenderten.
    Gianni schüttelte den Kopf. »Nein, hab ich nicht. Leider.«
    »Warum nicht?«
    »Weiß nicht.« Er zuckte ein paarmal mit den Achseln, und es sah aus wie eine ziemlich bescheuerte gymnastische Übung.
    Weil er gestört ist, dachte Raffael, das kriegen die Mädels sofort mit, und innerhalb von fünf Minuten sind sie weg.
    »Möchtest du irgendetwas sehen hier in Siena? Ich habe als Fremdenführer gearbeitet, ich kenne mich aus, kann dir alles zeigen.«
    »Nee, danke, kein Bedarf, wirklich nicht. Komm mir nicht bei diesem geilen Wetter mit irgendeiner Kirche oder irgendeinem schwachsinnigen Museum. Lass uns lieber ’ne Kneipe suchen, wo man schön draußen sitzen kann.«
    »Va bene. So etwas gibt es hier genug.«
    Eine Viertelstunde später saßen sie in einer Seitenstraße nahe der Piazza del Campo in einer kleinen Trattoria, die nicht aussah, als würden dort Touristen essen gehen. Die Stühle und Tische vor dem Lokal waren wacklig und verwittert, der Sonnenschirm vom Regen verwaschen, und auf der Speisekarte gab es nur drei Gerichte.
    »Ich lad dich ein, Gianni«, sagte Raffael, »ich bin verdammt noch mal nicht so arm dran wie du. Ein bisschen was hab ich gespart.«
    »Das geht nicht.«
    »Klar geht das. Und jetzt hör auf zu diskutieren und such dir was aus.«
    Gianni verstummte sofort, aber er lächelte.
    Beide aßen einen Teller Penne arrabiata, Gianni bestellte sich Rotwein und Wasser und Raffael Bier.
    Nach einer Weile begann Raffael: »Mal im Ernst, Gianni, du bist doch ein cooler Typ, warum hast du keinen Job, keine Freundin und machst ’ne Therapie?«
    »Das kann ich nicht sagen.«
    »Nur grob, nicht im Detail. Macht mich ganz verrückt, weil – eigentlich ist doch alles in Ordnung mit dir.«
    »Ein Mann hat mich fast getötet. Ein assassino. Nach drei Tagen haben sie mich gefunden. Fast tot. Seitdem ich träume jede Nacht und kann nicht mehr lernen, nicht mehr denken. Ich will zur Uni, aber vorher ist erst die terapia.«
    »Verstehe. Aber was genau passiert ist, willst du nicht erzählen?«
    »Nein. Bitte nicht.«
    »Alles klar. Au Mann, was für eine Scheiße. Glaubt man gar nicht, dass hier so was passiert.«
    »Es war ein Deutscher. Ein Verbrecher aus Berlin.«
    »Oh!« Raffael zuckte zusammen. »Ich komme auch aus Berlin.«
    Gianni grinste. »Ja schon, aber Berlin ist groß, und du bist kein Verbrecher.«
    »Nein«, sagte Raffael, »nein, das bin ich nicht.«
    Und er meinte es völlig ernst.
    »Allora«, sagte Gianni zwei Stunden später, als sie bereits durch etliche Kneipen gezogen waren und jede Menge Alkohol intus hatten, »was machen wir jetzt? Was möchtest du noch sehen?«
    »Sehen, sehen …«, knurrte Raffael. »Ich höre immer sehen. Hatte ich nicht schon mal gesagt, dass mich dieser ganze Scheiß hier nicht die Bohne interessiert?«
    Dabei trat er gegen ein Auto, und Gianni verstummte

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