Bewusstlos
gedacht, jetzt dachte er »Begleiter«.
Endlich zog Raffael das Messer wieder aus der Hose und reichte es dem Verkäufer.
Sein Gesicht glühte, und er nickte.
»Ich kaufe es«, sagte er zu Gianni, »sag ihm das. Schnell! Ich will das Messer haben! Und zwar sofort!«
»Es gefällt ihm, und er möchte es kaufen«, übersetzte Gianni schlicht und wunderte sich über die Panik in Raffaels Stimme und Blick. In dem leeren Laden würde ihm niemand das geliebte Messer vor der Nase wegkaufen. Wie er sich aufführte, war absolut idiotisch, und Gianni wagte nicht daran zu denken, was passierte, wenn wirklich jemand versuchen würde, Raffael das Messer wegzunehmen.
Aber noch schlimmer war der Gedanke, dass er sich ohne Probleme vorstellen konnte, dass Raffael jemand war, der keine Sekunde zögerte, sein Messer zu benutzen.
Als Raffael bezahlt und sein Messer eingesteckt hatte, war es Gianni ganz kalt.
»Ich bin so glücklich, dass ich wieder ein Messer habe, Gianni«, sagte Raffael kurz darauf. »Du ahnst nicht, wie ich mich darüber freue! Ich war ja gar kein Mensch mehr, nur weil ich das alte Scheißding irgendwo verloren oder irgendwo liegen gelassen habe. Lass uns einen trinken gehen und den Messerkauf feiern. Dass ihr hier solche geilen Geschäfte habt, macht mir Italien schon wieder sympathisch.«
Gianni verzog das Gesicht. Eigentlich wollte er nicht mehr.
»Guck nicht so blöd, und keine Widerrede«, meinte Raffael, »komm, zeig mir die nächste Kneipe, ich lad dich ein.«
Sie tranken sich noch den ganzen Abend durch die Stadt, das heißt, wenn Raffael drei Gläser Wein in sich hineinschüttete, nippte Gianni an einem halben und war demnach noch einigermaßen bei Verstand, als Raffael gegen Mitternacht auf die Uhr sah. »Mezzanotte, amico, ich kann nicht mehr. Kann ich bei dir schlafen?«
Raffael grauste es zwar, wenn er an Giannis Zimmer dachte, aber er hatte auch keine bessere Idee. Gianni konnte ihn nicht mehr fahren, das war ganz klar.
»Okay«, sagte Gianni. »Gehen wir zu mir. Du musst dich da halt irgendwo auf die Erde hauen.«
Sie gingen schweigend durch die Stadt, die jetzt um Mitternacht noch voller Leben und Menschen war. Streckenweise tastete sich Raffael an den rauen, mittelalterlichen Fassaden entlang, um nicht zu schwanken und umzufallen. Gianni hielt sich erstaunlich gerade.
Plötzlich bog er rechts in eine schmale Seitengasse ein, nach wenigen Metern ging er links und dann wieder rechts. Hier – abseits der großen Straßen – war niemand mehr unterwegs, weit und breit war kein Passant zu sehen.
Was soll das?, dachte Raffael irritiert. In welche Räuberhöhle will er mich bringen?
»Ich kann mich nicht erinnern, dass wir auch auf dem Hinweg hier langgegangen sind«, protestierte Raffael leise. »Bist du sicher, dass wir richtig sind?«
»Absolut. Es ist eine Abkürzung. Du bist doch auch müde, oder?«
Raffael sagte nichts dazu.
Seit Minuten gingen sie jetzt durch dunkle, nur spärlich beleuchtete, verwahrloste Gassen und waren keinem Menschen begegnet.
Durch die geschlossenen Fensterläden drang kaum ein Lichtstrahl, nur ab und zu blökten die plärrende Musik eines zu laut gedrehten Radios oder die Stimme eines Fernsehmoderators durch die Nacht.
Nach zwanzig Minuten, die Raffael wie eine Stunde vorkamen, standen sie vor Giannis Haus, und Gianni schloss die hohe, schwere Holztür auf.
»Va bene, komm!«, sagte er nur.
Erst als Raffael im Zimmer stand, wurde es ihm wieder klar. Giannis Bett war eine schmale Pritsche, eine Katastrophe, wenn es hochkam, neunzig Zentimeter breit. Da konnte er auch mit einer eventuellen Freundin nicht schlafen, und mit ihm schon gar nicht.
Im Grunde war diese Wohnung, diese Bruchbude, eine einzige Superscheiße. Vorhin, im nüchternen Zustand, war ihm das nicht so bewusst gewesen. Da stand ihm ja einiges bevor. So erbärmlich hatte er selbst in seinen übelsten arbeitslosen Zeiten in Berlin, als an ein Zimmer bei Lilo noch gar nicht zu denken war, nicht übernachtet. Er hatte bei allen möglichen Kumpels und Zufallsbekanntschaften gepennt, als er kein eigenes Dach über dem Kopf und auch keinen Job hatte, aber eine Matratze war immer da gewesen. Wenigstens das.
Und hier war der nackte Fußboden. Mehr nicht. Gianni besaß noch nicht mal einen Teppich, und er selbst trug bei dieser Hitze nicht mehr am Körper als eine Jeans und ein T-Shirt.
Ganz kurz überlegte Raffael, ob er Gianni Gianni sein lassen und sich nicht lieber einfach irgendwo ein Hotel
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