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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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auf Samstag gegen vier Uhr Leibniz- Ecke Sybelstraße auf dem Bürgersteig erstochen worden.
    Anwohner hatten um Viertel nach vier Schreie gehört. Aber nur ganz kurz, dann war alles wieder still. Daher hatte sich auch niemand die Mühe gemacht, aufzustehen und aus dem Fenster zu sehen.
    Na toll, dachte Richard, das ist ja wieder mal großartig. Danke, Nachbarn.
    Gerlindes Lebensgefährte Viktor Weber, der Vater ihrer Kinder, mit dem sie zusammenlebte, aber nicht verheiratet war, war nach der Todesnachricht mit schwerem Schock ins Krankenhaus eingeliefert worden und angeblich nicht vernehmungsfähig. Für Richard war er zum jetzigen Zeitpunkt der einzige in Betracht kommende Verdächtige, da Gerlinde weder ausgeraubt noch vergewaltigt worden war und er eine Beziehungstat vermutete. Aber nun lagen die Ermittlungen seit vierundzwanzig Stunden ziemlich auf Eis.
    Am Tatort war ein Springmesser gefunden worden, das die Spurensicherung noch untersuchte, Gerlindes Leiche lag in der Pathologie und war noch nicht freigegeben. Richard wollte gerade zum Telefonhörer greifen, um den Pathologen nach eventuellen vorläufigen Ergebnissen zu fragen, als sein Assistent Lars ins Büro kam.
    »Ich hab gerade mit dem Krankenhaus telefoniert«, sagte er, »Weber ist vor einer halben Stunde entlassen worden. Er ist allerdings noch krankgeschrieben. Die Kinder sind alle bei der Großmutter, er müsste jetzt allein zu Hause sein.«
    Richard stand auf. »Okay. Fahren wir hin und reden wir mit ihm. Wird ja langsam auch Zeit.«
    Viktor Weber war ein hagerer Mann mit mindestens zwanzig Kilo Untergewicht. Er wirkte, als könne ihn der leiseste Windhauch umpusten und als sei er weder in der Lage, ein Regal aufzubauen, noch eine Einkaufstasche nach Hause zu tragen. Als er Richard und Lars die Tür öffnete, sah er aus, als habe er drei Tage nicht geschlafen. Seine Haare waren fettig, seine Augen trüb und seine Wangen tief eingefallen. Aber sein Händedruck war überraschenderweise fest und bestimmt.
    »Herr Weber«, begann Richard, »unser herzlichstes Beileid. Es tut uns furchtbar leid, was passiert ist, und wir finden es sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich in dieser Situation bereit erklärt haben, uns ein paar Fragen zu beantworten. Wir werden versuchen, uns möglichst kurz zu fassen.«
    Viktor Weber nickte und schüttelte Richard und Lars stumm die Hand, die ihm ins perfekt aufgeräumte Wohnzimmer folgten.
    Du lieber Himmel, dachte Richard, hier sah es nicht aus, als ob in dieser Wohnung drei Kinder lebten. Kein Spielzeug, keine Zeitung, keine Coladosen, kein leerer Kaffeebecher, kein Kleidungsstück, keine Tasche, kein Schulheft – nichts lag herum. Dabei war die Mutter schon zwei Tage tot und der Vater vierundzwanzig Stunden im Krankenhaus gewesen.
    »Schön haben Sie’s hier«, sagte daher Richard auch prompt, »und so wahnsinnig ordentlich! Ich habe nur eine Tochter, aber bei mir sieht’s immer aus, als ob ’ne Bombe eingeschlagen hat.«
    »Wenn meine Schwiegermutter auf die Kinder aufpasst, räumt sie immer alles auf. Wirklich alles. In allen Zimmern, meine ich.« Viktor Weber presste die Lippen aufeinander und sah nicht aus, als ob er darüber glücklich wäre. »Sie hat den Aufräumzwang. Und ich denke mal, sie hat hier rumgeräumt, bevor sie die Kinder mit nach Hause genommen hat.«
    Lars wanderte währenddessen schweigend durch den Raum und sah aus wie jemand, der überlegt, die Wohnung zu mieten oder zu kaufen, aber Richard wusste, dass er im Geiste alles abfotografierte und sich noch Tage später an jedes Detail erinnern konnte.
    Weber setzte sich und bot Richard und Lars mit einer knappen Geste Platz an. Richard wählte einen Sessel, Viktor Weber genau gegenüber.
    »Herr Weber, wann haben Sie denn Ihre Lebensgefährtin zum letzten Mal gesehen?«
    »Am Freitagabend. Wir haben mit den Kindern zusammen Abendbrot gegessen, dann hat Gerlinde die beiden Kleinen ins Bett gebracht. Kevin, der Älteste, durfte noch aufbleiben und sich mit uns den Freitagabendkrimi ansehen. Der ging bis Viertel nach neun, dann ist Kevin ins Bett gegangen und wenige Minuten später auch Gerlinde. Weil sie ja um halb drei aufstehen musste.«
    »Wie lange dauerte das Zeitungsaustragen normalerweise?«
    »Von drei bis sechs. Um Viertel nach sechs war sie sonst wieder zu Hause, weckte mich und die Kinder, und um sieben frühstückten wir immer zusammen. Ich brachte dann die beiden Großen zur Schule, Leo in den Kindergarten und fuhr zur Arbeit.

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