Bewusstlos
hinunter und zu ihrem Wagen.
»Das war heftig«, murmelte Richard.
Lars erwiderte nichts, sondern startete den Wagen.
Es hatte zu regnen begonnen, und wie immer bei Regen, standen sie nach wenigen Minuten im Stau.
»Es war kein Raubmord, es war kein Sexualmord, es war wohl auch keine Beziehungstat. Richtig?«, fragte Richard.
»Richtig.«
»Weißt du, Lars, ich stehe so im Wald wie noch nie. Bei allen Taten, die ich in den letzten zwanzig Jahren bearbeitet habe, hatte ich immer zumindest eine Idee, wer es getan haben könnte, beziehungsweise warum. Ich kannte zwar den Mörder nicht, aber ich konnte mir das Motiv vorstellen. Diesmal habe ich nicht die leiseste Vorstellung, was sich in den frühen Morgenstunden auf der Straße abgespielt hat. Es geht doch niemand hin und ersticht eine Frau, die einfach nur Zeitungen austrägt und keiner Fliege was zuleide getan hat?«
»Offensichtlich doch«, murmelte Lars. »Sonst wäre sie ja nicht tot.«
Richard stöhnte. »Komm, lass es. Ich kann jetzt solche Sprüche nicht gut vertragen.«
»Dieser Mörder ist total irre«, meinte Lars nach einer Weile. »Wer weiß, wen er morgen umbringt. Einfach so. Ohne Grund.«
»Jeder Mörder ist irgendwo wahnsinnig.«
»Sicher. Aber der hier ist es auf eine Art, die wir noch nicht kennen. Und das ist das Schlimme.«
Richard schwieg. Wahrscheinlich hatte Lars recht.
Er brauchte jetzt dringend einen starken Kaffee.
Die Scheibenwischer leisteten Schwerstarbeit, Lars kam nur meterweise voran.
Sie mussten also einen Geisteskranken finden, der wahrscheinlich selbst nicht wusste, warum er Leute umbrachte.
Und seine Kleine wollte es in Paris krachen lassen.
Es war alles zum Verrücktwerden.
9
Nachdem es zwei Tage lang gewittert hatte, war der Himmel endlich wieder klar, und die Luft hatte eine kühle, herbe Frische, die Raffael unwillkürlich das Fenster öffnen ließ, um tief durchzuatmen. Er hatte in der vergangenen Nacht neun Stunden fest durchgeschlafen und fühlte sich stark und fit wie selten. Keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit und kein Schwindelgefühl, wenn er sich erhob.
Er stand am Fenster und streckte sich. Nichts tat weh, er war ein gesunder Kerl, das Einzige, was ihm fehlte, war mal wieder eine Frau. Aber auch da würde ihm sicher etwas einfallen.
Er gähnte und lächelte dabei.
Dann ging er ins Bad, duschte ausgiebig, putzte sich die Zähne, rasierte sich und benutzte ein Eau de Toilette, das so unverschämt teuer war, dass er sich nur hin und wieder zwei Sprühstöße gönnte: einen links hinterm Ohr und einen rechts. Heute war so ein Tag.
In der Nacht hatte er einen fürchterlichen Albtraum gehabt, und er wunderte sich, dass die Bilder der Nacht immer noch nicht verschwunden waren. Normalerweise konnte er Albträume schon wenige Minuten nach dem Aufwachen nicht mehr wiedergeben, geschweige denn nach einer knappen Stunde.
Und eine leichte Unsicherheit befiel ihn.
Er sah irritiert zum Ofen, zog den Reißverschluss seiner Jeans hoch und verschloss die Gürtelschnalle.
Er musste wahrhaftig all seinen Mut zusammennehmen, um zum Ofen zu gehen und die Klappe zu öffnen.
Der Ofen war vollgestopft mit seinen blutigen Sachen.
Es war also kein Albtraum gewesen.
Das war die Realität, und die Angst saß ihm wieder im Nacken.
Raffael verriegelte den Ofen, stand auf, ging zum Fenster und knallte es zu. Der schöne Tag konnte ihm gestohlen bleiben.
Die Küche war Gott sei Dank leer. Vielleicht war Lilo einkaufen gefahren. Oder zum Schwimmen ins Stadtbad. Wie jeden Mittwoch. Aber was war denn heute für ein Tag? Er wusste es nicht, musste nachher mal in die Fernsehzeitung schauen. Er hatte um sechzehn Uhr Dienst. So viel war klar. Alles andere war eigentlich auch völlig unwichtig.
Er kochte sich eine große Kanne Kaffee und trank sie komplett aus. Ohne irgendetwas dazu zu essen. Dafür rauchte er zwei Zigaretten am offenen Fenster.
Plötzlich ging die Tür auf, und Lilo kam herein.
Sie stutzte, aber dann sagte sie eher höflich: »Guten Morgen, mein Junge. Hast du gut geschlafen?«
»Ja, ja.« Er wandte sich ab, zeigte ihr die kalte Schulter und sah in den Kühlschrank.
Lilo begriff, dass er schlechte Laune hatte, und setzte sich still an den Tisch.
»Bitte lass die Raucherei hier in der Küche. Ich kann es einfach nicht ertragen.«
»Ja, ja, ja, bla, bla, bla.«
An einem Tag wie heute ging sie ihm tierisch auf die Nerven.
Unerträglich lange schwiegen beide und sahen sich auch nicht an.
»Was hast du
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