Bewusstlos
bescheißen, wie es mir passt! Oder hast du einfach keine Ahnung? Die Zucchini waren im Sonderangebot, verdammt! Da würd ich mich an deiner Stelle mal für interessieren, mich mal ’n bisschen informieren! Was machst du eigentlich, außer hier fett und bräsig rumzusitzen? Hast du mal in den Spiegel geguckt? Geh lieber mal zum Friseur!«
Raffael war immer lauter geworden. Auch an anderen Kassen wurde man aufmerksam und hörte fassungslos zu.
»Bitte, Raffael, hör auf!«, flehte Lilo leise. »Was ist denn in dich gefahren?«
»Was in mich gefahren ist?«, brüllte Raffael. »Nichts! Frag lieber mal die Schlampe hier, warum sie verdammt noch mal ihre Arbeit nicht richtig macht.«
»Bitte, Raffael, beruhige dich!« Lilo zitterte am ganzen Körper. Sie kannte die Kassiererin vom Sehen und wäre in diesem Moment am liebsten im Boden versunken. Aber je mehr sie Raffael zu beschwichtigen versuchte, umso schlimmer regte er sich auf.
»Nein, ich beruhige mich nicht! Weil das hier nämlich ein Scheißladen ist! Weil man hier beschissen wird! Ich bin Kunde, ja? König Kunde! Und so will ich auch behandelt werden! Und wenn das nicht geht, sollte man hier nicht wieder einkaufen!«
Jetzt schrie er richtig und blickte sich um, um alle anderen Kunden mit einzubeziehen. »Habt ihr das gehört? Niemand sollte hier einkaufen in diesem Ramschladen! Geht woanders hin, hier werdet ihr über den Tisch gezogen!«
In diesem Moment erwachte die Rothaarige aus ihrer Schockstarre und rief gellend: »Herr Münster! Kommen Sie mal bitte! Schnell!«
Raffael kümmerte sich überhaupt nicht darum, nahm die Gemüsetüten und schmiss Zucchini und Tomaten einzeln durch die Gegend. Manche Tomaten warf er so weit, dass sie in der hintersten Ladenecke vor der Fleischtheke zerplatzten.
Plötzlich stand Herr Münster vor ihm, ein Angestellter einer Sicherheitsfirma, der normalerweise den Eingangsbe reich überwachte, und packte ihn mit eisernem Griff am Arm.
»Verlassen Sie das Geschäft! Und zwar sofort!«
Raffael riss sich los und entfernte sich drei Schritte. Dann blieb er stehen, drehte sich um und sah Kassiererin und Sicherheitsmann hasserfüllt an. Sein Gesicht war knallrot angelaufen, seine Augen flackerten.
»Ich bleibe dabei!«, brüllte er weiter. »Das hier ist ein Scheißladen! So kann man Leute nicht behandeln! Ihr seid alle Idioten, und wenn ich eine Knarre hätte, würde ich kommen und euch alle abknallen, das sag ich euch!« Er lief wieder ein paar Schritte, dann drehte er sich noch einmal um, imitierte mit den Fingern einen Revolver und zeigte auf den Wachmann. »Und dich auch! Du bist der Erste, der dran glauben wird!«
Dann stürmte er aus dem Supermarkt.
Es war still im Geschäft. Niemand sagte ein Wort.
Nach einer Pause, in der die Kassiererin ihre Kasse anstarrte, als sähe sie sie zum ersten Mal und als wüsste sie gar nicht, was man damit anfangen soll, fragte sie der Sicherheitsmann: »Kennen Sie den Kunden?«
Die Kassiererin schüttelte den Kopf.
Und auch Lilo sagte keinen Ton, obwohl die Kassiererin bestimmt mitbekommen hatte, dass sie ihn Raffael genannt und geduzt hatte. Aber selbst das hatte die Kassiererin in ihrer Angst vergessen.
»Solche Leute gibt’s leider. Versuchen Sie weiterzumachen, Frau Schuricke, ich spreche mit der Geschäftsleitung, und wenn dieser Mann hier noch einmal auftaucht, hat er Hausverbot.«
Damit entfernte er sich und ging zurück zu seinem Posten an der Tür.
Frau Schuricke begann in Zeitlupe, Lilos Waren über das Band zu ziehen. Sie war unkonzentriert und hatte sich kaum noch unter Kontrolle.
Lilo packte ihre Waren in den Einkaufswagen, bezahlte und ging langsam zur Rolltreppe, mit der man ins Parkhaus fahren konnte.
Sie war so erschüttert, dass sie kaum denken konnte.
An ihrem Auto angelangt, sah sie sich um. Raffael war nirgends zu sehen, aber das hatte sie eigentlich auch nicht erwartet. Wahrscheinlich war er in seiner Wut direkt nach Hause gelaufen.
Sie packte den Kofferraum voll und fuhr nach Hause. Noch langsamer als sonst, weil sie vollkommen durcheinander war.
Ihre Einkäufe ließ sie im Auto und ging erst einmal in die Wohnung.
Raffael war nicht da.
In der Küche trank sie ein großes Glas Wasser direkt aus der Leitung und sank dann auf einen Stuhl. Sie fühlte sich kraftlos, jede Bewegung fiel ihr schwer.
Diesen Raffael kannte sie nicht.
10
Seit dem Einkauf musste ungefähr eine Stunde vergangen sein, und Lilo saß immer noch in der Küche, als Raffael
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