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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Theaterwerkstatt besaß sechs Bohrmaschinen. Zwei waren kaputt und mussten repariert werden, die vier anderen waren wie vom Erdboden verschluckt. Frank hatte alle Schränke aufgerissen und durchwühlt und war dabei fuchsteufelswild geworden, aber gefunden hatte er nichts.
    In der Pause trommelte er die Kollegen zusammen.
    »Liebe Leute«, begann er mit grimmigem Gesicht, und auch sein Ton verhieß nichts Gutes, »ich will nicht lange drumherum reden. Wo sind die vier fehlenden Bohrmaschinen? Sie können sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Ohne Bohrmaschinen können wir nicht arbeiten, da können wir gleich allesamt nach Hause gehen. Also? Ich möchte keine Ausflüchte und keine Geschichten hören, ich will wissen, wer sie sich ausgeborgt hat, und ich will sie wieder hier haben. Und zwar ein bisschen plötzlich!«
    Eine Weile schwiegen die Kollegen und sahen sich untereinander an, als wüssten sie genau, wer welche Maschine zu Hause hatte. Dann sagte Raffael schließlich als Erster in die Stille: »Nun mach mal hier nicht so die Pferde scheu, Frank. Da muss man doch nicht gleich ’ne Konferenz einberufen, nur weil mal einer zu Hause ’ne Schraube in die Wand gedreht hat …«
    »Das überlass mal schön mir, ob ich eine Konferenz einberufe oder nicht. Und ob ich jeden einzelnen Kollegen freundlich lächelnd beim Zigarettchen auf dem Hof interviewe oder ob ich den großen Aufwasch vorziehe. Noch bin ich hier der Bühnenmeister.«
    Raffael spürte, wie er innerlich anfing zu kochen. Daher sagte er so schnell wie möglich: »Also gut, um hier mal die schlechte Luft aus’m Ballon zu lassen: Ich hab mir die Maschine gestern für einen Abend ausgeliehen, um meiner Vermieterin ein Gewürzregal über dem Herd anzubringen. Ich bin untröstlich und bitte tausendmal um Verzeihung, dass ich vergessen hab, sie heute Morgen sofort wieder zurückzubringen.«
    Frank konnte Raffaels süffisanten Ton überhaupt nicht vertragen. »Was du natürlich vorgehabt hattest.«
    »Was ich natürlich vorgehabt hatte. Aber selbstverständlich.« Raffael grinste.
    Noch drei weitere Techniker gestanden, Bohrmaschinen zu Hause zu haben.
    »Okay.« Frank atmete tief durch und schlug sich pausenlos mit dem Griff eines Schraubenziehers in die Handfläche. »Peter und Olaf wohnen zu weit weg. Aber Bruno und Raffael, ihr macht euch sofort auf die Socken und holt die Maschinen. Ich will, dass ihr in ’ner halben Stunde wieder hier seid!«
    »Sehr gern!«, flötete Raffael spöttisch, verließ das Theater und schwang sich aufs Fahrrad.
    Vielleicht lag es an ihrem schlechten Gewissen, weil sie nun schon zum zweiten Mal heimlich sein Zimmer betrat, denn obwohl sie sicher sein konnte, dass er nicht da war, öffnete Lilo doch außerordentlich leise und vorsichtig Raffaels Tür, ging zum Schreibtisch und nahm den Brief wieder an sich. Dabei fiel ihr Blick aufs Fenster, und sie sah, dass hinter der Gardine auf dem Fensterbrett noch weitere Bierdosen standen. Sie bemerkte auch, dass die schwere Übergardine nicht richtig hing, und trat neben den Schreibtisch, um nachzusehen, was den Faltenwurf hemmte.
    Zwischen Schreibtisch und Fenster stand ein offener Karton.
    Sie traute ihren Augen nicht: Er war voller ungeöffneter Briefe. Lauter Behördenbriefe, die meisten von der Bank. Sie sah den Karton flüchtig durch. Privates war nicht dabei.
    Du lieber Himmel, dachte sie. Was ist denn bloß in den Jungen gefahren, seine Briefe nicht zu öffnen?
    Sie ließ die Gardine so, wie sie war, verrückte den Karton nicht und sah sich aufmerksam um. Eigentlich war sie kein Mensch, der gern schnüffelte und spionierte, da sie sich dabei unsagbar schämte, aber heute warf sie ihre Bedenken über Bord, sie musste einfach wissen, was mit Raffael los war.
    Systematisch öffnete sie jetzt jede Schublade und jede Schranktür. Vorsichtig und ohne irgendetwas durcheinanderzubringen, durchsuchte sie seine Sachen nach Auffälligkeiten. Viel besaß er ja wirklich nicht, so viel war klar: ein paar T-Shirts, ein paar Pullover und Jeans, eine Schublade voller Socken, eine andere voller Unterhosen. Keine Oberhemden, keine Anzüge, keine Krawatten. Drei Paar Turnschuhe und eine dunkle Steppjacke für den Winter. Das war an Bekleidung auch schon alles.
    Im Regal ein Fremdwörterlexikon und einige Filme auf DVD . Jetzt wurde ihr klar, was auch noch ungewöhnlich war: Der Junge hatte zwar einen kleinen Fernseher, den sie gestellt hatte, aber keinen DVD -Player, noch nicht einmal einen

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