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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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er bisher noch nirgends bekommen.
    Hin und wieder vergaß er eben noch, dass er siebenunddreißigtausend Euro in der Tasche hatte. Im Grunde hätte er mit einem Hubschrauber nach Italien fliegen können.
    Dreiundzwanzig Uhr vierundfünfzig. Sein nächster Regionalzug nach Zwickau ging um vier Uhr vierzehn. Gute vier Stunden musste er jetzt auf diesem lausigen Bahnhof die Zeit totschlagen.
    Vier verfluchte Stunden, und er hatte nichts dabei: keine Zeitung, keine Zeitschrift, kein Buch, nichts. Wer sich langweilte, tippte ja heutzutage wie ein Geisteskranker auf seinem Handy, iPhone oder iPad herum und spielte irgendwelche schwachsinnigen Spiele. Er hatte so etwas alles nicht. Sein Handy konnte nicht spielen und nicht fotografieren, es konnte nur manchmal telefonieren, wenn die Prepaid-Karte aufgefüllt und der Akku aufgeladen waren. Sein Prepaid-Konto betrug noch drei Euro siebzig, der Akku war fast leer. Und das Ladegerät hatte er in Berlin vergessen. Es steckte in der Küche in der Steckdose neben dem Kühlschrank. Vage erinnerte er sich noch, dass er es aus der Wand ziehen wollte, aber dann kam der hastige Aufbruch, und er hatte es vergessen.
    Es war alles so zum Kotzen! Eigentlich konnte er sein Handy auch wegschmeißen. Er wusste sowieso nicht, wozu er es hatte. Der Einzige, der ab und zu angerufen hatte, war Frank gewesen, wenn sich die Dienste geändert hatten, aber das war ja nun auch erledigt.
    Er durchquerte den Bahnhof. Imbissbuden und Geschäfte waren geschlossen, die Reisenden, die wie er mit dem letzten Zug angekommen waren, rannten geradezu aus dem Bahnhof. Als ginge es ihnen hier ans Leben.
    Okay, dachte er sich, mach das Beste draus.
    Aus einem Getränkeautomaten zog er drei Bier, aus einem anderen eine Schachtel Zigaretten.
    Er setzte sich auf eine Bank auf dem Bahnsteig, öffnete die erste Dose Bier und zündete sich eine Zigarette an.
    Der Rauch biss in den Lungen, und er musste husten.
    Noch vier Stunden, sieben Minuten.
    Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig fuhr ein Zug ein. Nach Leipzig, drei Minuten Aufenthalt, entnahm er der Anzeigetafel. Nur wenige Leute stiegen aus und liefen eilig zum Ausgang.
    Raffael stand auf, stieg in den Zug ein und steckte sein Handy in einen Papierkorb zwischen den Plätzen zweiunddreißig und vierunddreißig.
    Dann verließ er den Zug schleunigst wieder.
    Gute Reise, Handy, dachte er amüsiert. Wenn sie wirklich wissen sollten, wer er war, und versuchten, ihn zu orten, dann waren sie jetzt auf dem Holzweg. Oder die nächste Putzfrau, die den Papierkorb leerte, nahm das Handy an sich und telefonierte damit irgendwann aus Krakau. Na dann, viel Vergnügen und fröhliche Ermittlungen.
    Befreit von seinem Handy fühlte er sich jetzt wesentlich besser.
    Es fing an zu nieseln, was er spürte, obwohl er im überdachten Teil des Bahnsteigs saß. Es war zugig, und er fror wie im Herbst oder Frühling. Er war nicht darauf eingestellt, hatte kaum warme Sachen dabei, denn in Italien war es sicher heiß.
    Sechsundzwanzig Stunden später, um zwei Uhr zwanzig in der Nacht, fuhr sein Zug in Florenz in den Sackbahnhof ein.
    Raffael schleppte sich nach draußen. Seine Tasche konnte er kaum noch heben, er hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen und kaum etwas getrunken. In München hatte er genug Zeit gehabt, sich noch mal drei Dosen Bier zu kaufen, auf ein Brötchen hatte er keinen Appetit. Auch eine Flasche Wasser kaufte er sich nicht, er hatte einfach keinen Platz. Zwei Dosen Bier stopfte er in seine Jackentaschen, die dritte öffnete er sofort und trank sie gleich. Sein Frühstück um kurz vor halb elf.
    Das war doch alles kein Zustand, das Leben war eine einzige Quälerei.
    Außer den wenigen, die im Zug gesessen hatten und wie überall eilig den Ausgängen zustrebten, war niemand mehr auf dem Bahnsteig und auch niemand mehr im Bahnhofsgebäude. Geschäfte und Kioske waren geschlossen. Der Bahnhof wirkte so düster und kalt wie ein verfallener Schlachthof in Chicago.
    Was mache ich jetzt?, dachte Raffael verzweifelt. Der erste Zug nach Montevarchi geht um fünf Uhr fünf. Schon wieder zweieinhalb Stunden auf einem kalten nächtlichen Bahnhof nach neununddreißig Stunden ohne ordentlichen Schlaf. Ich kann einfach nicht mehr.
    Er stolperte durch die Halle auf der Suche nach einem geschützten Plätzchen, wo es auszuhalten war und nicht wie Hechtsuppe zog. Schließlich kauerte er sich in den Eingang einer Farmacia und betete, die ganze Welt möge ihn bitte für zwei

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