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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Stunden in Ruhe lassen.
    Aber das war ein frommer Wunsch.
    Nur wenige Minuten später bauten sich zwei Carabinieri breitbeinig vor ihm auf.
    »Was machen Sie hier?«, fragte einer der beiden auf Italienisch.
    Raffael sah ihn verständnislos an.
    Daraufhin wiederholte der Polizist die Frage auf Englisch.
    »Ich warte auf meinen Zug«, antwortete Raffael knapp und drehte seine Bierdose in den Händen. Es war ihm klar, dass er aussah wie ein Penner, der in einem Hauseingang übernachtete.
    »Ihre Papiere und Ihr Ticket, bitte!«
    Raffael kramte seinen Ausweis hervor und sagte: »Ein Ticket nach Montevarchi hab ich noch nicht. Ist ja auch kein Wunder, hier ist ja alles zu!«
    Auch wenn es nur verteidigend gemeint war, kam es bei den Carabinieri an wie eine Kritik.
    »Hier können Sie jedenfalls nicht bleiben.«
    »Wo soll ich denn hin?«
    »Nehmen Sie sich ein Hotel!«
    »Für zwei Stunden?« Raffael tippte sich an die Stirn. Die Diskussion war für ihn absurd. Warum konnte er nicht hier sitzen bleiben? Er tat doch keiner Fliege etwas!
    Die Italiener hatten sie wirklich nicht alle.
    »Es ist verboten, auf dem Bahnhofsgelände zu übernachten«, erklärte der etwas milder gestimmte Kollege. »Also gehen Sie in die Stadt oder kommen Sie mit auf die Wache. Die letzten Fahrgäste sind weg, wir schließen den Bahnhof jetzt ab.«
    Raffael stand notgedrungen und mühsam auf. Er wusste, dass er keine Kraft mehr hatte, zwei Stunden durch Florenz zu irren. So wie er sich kannte, wurde er bestimmt von jemandem angepöbelt, und er war nicht mehr in der Lage, darauf zu reagieren und Paroli zu bieten. Er konnte gar nichts mehr. Noch nicht mal mehr stehen.
    »Ich komme mit«, sagte er nur knapp und folgte den Carabinieri.
    Die Wache befand sich auf der Vorderseite des Bahnhofsgebäudes. Der Warteraum sah vollkommen verwahrlost aus. Die Farbe der Wände war verblichen und abgeblättert, billige Plastikstühle standen herum, neben dem Fenster hing ein Plakat, das vor den häufigeren Einbrüchen in der dunklen Jahreszeit warnte. Dazu Tipps, wie man sein Haus besser sichern und schützen konnte.
    »Hier können Sie sich aufhalten«, sagte ein Carabiniere und deutete auf die Stühle. »Aber wir brauchen noch einmal Ihren Ausweis. Solange Sie hier sind, behalten wir den Pass.«
    Raffael gab ihm widerstandslos alles, was er haben wollte. Er fragte nicht nach, warum er den Ausweis abgeben sollte, und hoffte, nicht auch noch durchsucht zu werden. Mit siebenunddreißigtausend Euro in der Tasche wäre er dran. Sie würden ihn gleich dabehalten und die ganze Welt verrückt machen. Denn eine einleuchtende Erklärung hatte er nicht.
    Aber sie ließen ihn in Ruhe. Er versuchte, sich zu entspannen. Immerhin hatte er ein Dach über dem Kopf, einen warmen Raum, durch den nicht der Wind pfiff, und einen Stuhl. Paradiesische Zustände. Und er brauchte an diesem gastlichen Ort auch nicht zu befürchten, ausgeraubt zu werden.
    Er rutschte auf dem Stuhl tiefer, legte die Füße auf seine Tasche und war innerhalb weniger Sekunden eingeschlafen.
    Der Carabiniere weckte ihn um Viertel vor fünf.
    Raffael fuhr aus dem Tiefschlaf hoch und brauchte einige Sekunden, bis er begriff, wo er war. Dann schüttelte er sich wie ein Hund, um irgendwie zu sich zu kommen. Der Carabiniere reichte ihm ein Glas Wasser.
    »Buongiorno«, sagte er freundlich, »Sie wollten doch mit dem Zug um fünf Uhr fünf nach Montevarchi, ist das richtig?«
    Raffael nickte. Er war positiv überrascht, dass sich der Polizist das gemerkt hatte.
    »Dann sollten Sie jetzt gehen. Der Kiosk ist offen, Sie können sich eine Fahrkarte kaufen.«
    Raffael trank das Wasser und reichte dem Carabiniere die Hand.
    »Grazie«, sagte er und ging zur Tür. »Grazie.«
    Um fünf Uhr zwei saß er im Regionalzug nach Montevarchi und war so glücklich wie nach einer gelungenen Arktis-Expedition oder einem Segeltörn über den Atlantik. Er hatte es fast geschafft. Alles war gut.

CHRISTINE

32
    Florenz, 19. Dezember 2011
    »Wie haben Sie sich kennengelernt, Frau Herbrecht, Sie und Ihr Mann?«
    Christine lächelt. »Das ist eine schöne Geschichte. Aber wahrscheinlich sind alle Liebesgeschichten am Anfang schön.«
    »Lieben Sie Ihren Mann immer noch?«
    »Manchmal ja. Manchmal auch nicht. Ich bin mir nicht sicher. Man fühlt die Liebe nicht jeden Tag. Und plötzlich, wenn man gar nicht daran denkt und gar nicht darauf vorbereitet ist, flammt sie wieder auf. Bei uns beiden ist sie in unterschiedlichen Abständen

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