Bewusstlos
immer wieder erwacht, und dann wusste ich, dass ich ohne ihn nicht leben kann. Aber jetzt wird er mich verlassen. Das, was geschehen ist, wird er mir nie verzeihen.«
»Erzählen Sie. Von Anfang an.«
»Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, als wäre es gestern gewesen. Er saß in der Mensa an Tisch 47, sogar die Nummer weiß ich noch, gleich neben der Treppe. Das ist einer der schlimmsten Tische, die man in der Mensa überhaupt haben kann, weil unentwegt Studenten daran vorbeilaufen. Die wollen zur Treppe, kommen die Treppe runter oder bringen ihr schmutziges Geschirr zurück zur Ablage.
Ich konnte mein Tablett kaum gerade halten, so voll war es, dann bin ich plötzlich angerempelt worden, dachte in dem Moment, oh Mann, jetzt liegt der ganze Salat gleich auf der Erde, aber dann hab ich es doch noch geschafft, das Tablett auf einen Tisch krachen zu lassen. Und dem Typen, der da saß, fiel ich dabei fast auf den Schoß. Er hat nichts gesagt, nur gegrinst.
Ich hab mich ihm gegenübergesetzt, und ich glaube, ich hab ihn angestrahlt. Er gefiel mir auf den ersten Blick. Ich fand ihn super. Unglaublich. In diesem ganzen Irrsinn um uns herum saß er da wie der Fels in der Brandung, und irgendwie fand ich das erotisch.
Ich hab ihn gefragt, ob die Plätze am Tisch besetzt sind oder so.
Später hat er mir erzählt, dass er währenddessen krampfhaft überlegt hat, wo er mich schon mal gesehen hatte, denn irgendwie bin ich ihm bekannt vorgekommen. Und dann fiel es ihm ein: Erst vor wenigen Tagen hatte ich nämlich als ASTA-Vertreterin im Audimax eine Rede gehalten, und die hatte ihn schwer beeindruckt.
Ich fing also an zu essen, hatte den Mund voller Nudeln und beobachtete ihn. Der Typ sagte keinen Ton.
Ich hab ihm dann gesagt, dass ich Christine heiße, und ihn gefragt, ob er heute seine dreitausend Worte schon alle verbraucht hat oder warum er nichts sagt.
Er hat wieder nur gegrinst und gesagt, dass er Karl heißt.
Karl. Himmel! Ich fand diesen Namen schrecklich altmodisch, aber was soll’s? Er konnte ja nichts dafür.
Dann hab ich ihm seine Oliven weggegessen und ihn gefragt, ob er heute noch eine Vorlesung oder ein Seminar hat.
Nee, hat er gesagt.
Klasse. Ich war auf Männerjagd, und das passte mir gut.
Und dann war ich ganz mutig, denn ich hatte keine Lust, da in der Mensa noch fünf Stunden blöd rumzusitzen.
›Meine Oma hat mir zum Geburtstag eine wahnsinnig tolle Kaffeemaschine geschenkt‹, hab ich zu ihm gesagt. ›Die kocht den besten Kaffee der Welt. Was hältst du davon, wenn wir auf die Plörre hier verzichten und zu mir gehen?‹
Ich konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, dass er den Schreck seines Lebens bekommen hatte, aber er hat nur gelächelt und ziemlich tapfer gemeint: ›Klar, das machen wir.‹
Ich wohnte gleich um die Ecke und hatte auf diese Weise schon mehrere Männer abgeschleppt. Aber dass die Frau die Anmache und die Initiative übernimmt, können Männer in der Regel gar nicht ab. Da sind sie plötzlich ganz klein mit Mütze. Ich hab auch welche erlebt, die sich ganz schnell aus dem Staub gemacht haben.«
Dr. Corsini lacht.
»Ja, ich geb’s ja zu, es war ein Sport von mir. Und Karl gefiel mir wirklich. Ich hatte schon Männer durcheinandergebracht, die wesentlich weniger attraktiv waren.
Bei mir zu Hause haben wir dann eine ganze Kanne Kaffee getrunken und dazu Sandkuchen gegessen. ›Selbst gemacht‹, hab ich zu ihm gesagt, ›nur meine Freundin, die Backmischung, hat mir ein bisschen dabei geholfen.‹
Dann hab ich mich auf meinem knallroten Sofa aus imitiertem Leder lang ausgestreckt und gesagt: ›Ich glaub, ich muss mal zehn Minuten pennen. Mir ist ganz schlecht von dem vielen Kaffee.‹
Das war natürlich alles Berechnung.
Karl saß im Sessel und hat mir minutenlang dabei zugesehen, wie ich da auf dem Sofa lag. Ich bin irre dabei geworden.
Endlich hat er sich ein Herz gefasst, sich vor mir hingekniet und mich geküsst. Und ich hab ihn umarmt und gedacht: Na endlich. Junge, Junge, das hat aber gedauert.
Dann haben wir uns richtig geküsst und zum ersten Mal zusammen geschlafen.«
Christine lächelt. »Tja, und von da an waren wir Tag und Nacht zusammen. Natürlich haben wir unterschiedliche Vorlesungen besucht, aber wenn es irgendwie ging, waren wir nicht getrennt. Nachts sowieso nicht.«
»Wie ging es weiter? Sie machten Ihre Examen an der Uni, und dann?«
»Wir zogen zusammen, gleich nachdem wir uns kennengelernt hatten. Karl beendete sein
Weitere Kostenlose Bücher