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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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meinetwegen auf.«
    »Da lässt man also lieber Mörder frei rumlaufen, nur um irgendwelche Daten zu schützen? Unbescholtenen Bürgern kann es doch völlig wurscht sein, ob ihre DNA gespeichert ist oder nicht.«
    »Lass gut sein, Richard«, sagte Lars und seufzte. »Darüber haben wir doch schon tausendmal diskutiert.«
    In diesem Moment kam Richards Sekretärin Iris ins Büro.
    »So«, sagte sie und klappte eine Akte auf. »Jetzt haben wir die Info zur Person Lieselotte Berthold zusammen. Sie war neunundsiebzig Jahre alt, eine geborene Moltke, seit 1953 verheiratet mit Wilhelm Berthold, inzwischen verwitwet. Keine Kinder. Auch Wilhelm Berthold hatte keine Kinder aus einer anderen Ehe. Er litt unter Demenz und ist 2005 verstorben. Die beiden haben ihr ganzes Leben in dieser Wohnung verbracht. Das Haus soll vollständig saniert werden, seit Jahrzehnten ist dort – und demnach auch in Frau Bertholds Wohnung – nichts mehr repariert worden, aber sie hat sich bisher dem Rauswurf des Vermieters erfolgreich widersetzt. Sie wollte in dieser Wohnung bleiben und in dieser Wohnung sterben. Und das ist ihr ja auch gelungen«, setzte sie noch hinzu und fand selbst, dass es ein bisschen eigentümlich und despektierlich klang.
    Lars und Richard sahen sich an.
    »Das heißt, Lilo Berthold hatte gar keinen Enkel.«
    »So ist es. Und ein Untermieter ist im Melderegister nicht eingetragen. Auch dem Vermieter war davon nichts bekannt. Ohne Genehmigung einen Untermieter zu haben hätte einen Rauswurf möglich gemacht«, fügte Iris hinzu.
    »Das ist der Albtraum schlechthin«, resümierte Richard. »Du nimmst einen freundlichen jungen Mann bei dir auf, um deine Rente ein bisschen aufzubessern, und er wird zu deinem Mörder.«

31
    Der Zug rumpelte durch die Nacht.
    Raffael war todmüde und hellwach zugleich.
    Noch knapp dreißig Minuten bis Chemnitz. Ständig fielen ihm die Augen zu, und er wusste nicht, was er noch anstellen sollte, um wach zu bleiben. Wenn er einschlief, würde er den Halt verpassen. Aber in Chemnitz musste er umsteigen.
    Seit vier Stunden war er jetzt unterwegs. Er war um neunzehn Uhr achtundzwanzig in Berlin losgefahren, um einundzwanzig Uhr in Elsterwerda umgestiegen, und bis Montevarchi hatte er noch dreiundzwanzig Stunden mit zehnmal Umsteigen vor sich. Wenn er in Chemnitz war, hatte er vier Stunden und zweiundzwanzig Minuten Aufenthalt. Ihm grauste davor, stundenlang mitten in der Nacht auf einem kalten, zugigen Bahnsteig zu sitzen. Denn es ging erst um vier Uhr vierzehn weiter nach Zwickau, um fünf Uhr zwanzig von Zwickau nach Hof, um sechs Uhr zweiundvierzig von Hof nach Regensburg, um acht Uhr vierundvierzig von Regensburg nach München, um zehn Uhr achtundvierzig von München nach Rosenheim, um elf Uhr fünfunddreißig von Rosenheim nach Innsbruck, um dreizehn Uhr zweiundfünfzig von Innsbruck zum Brenner, um fünfzehn Uhr acht vom Brenner nach Bologna, um zwanzig Uhr neununddreißig von Bologna nach Florenz und um dreiundzwanzig Uhr acht nach Montevarchi, wo er – so Gott wollte – um null Uhr sieben ankommen würde.
    Wenn alles glattlief – und davon war nicht auszugehen –, bräuchte er siebenundzwanzig Stunden von Berlin nach Montevarchi. Aber hundertprozentig gab es hin und wieder Verspätungen, er würde den einen oder anderen Zug verpassen, seine ganze schöne Konstruktion bräche zusammen, und er würde für die Reise noch etliche Stunden mehr benötigen. Höchstwahrscheinlich war er erst am frühen Morgen in Montevarchi. Und dann, nach schlappen fünfunddreißig Stunden Zugfahrt, hatte er ganz bestimmt keine gute Laune mehr.
    Das Schlimme war, dass er es sich nicht leisten konnte zu schlafen, damit er das nächste Umsteigen nicht verpasste. Das machte die Sache so anstrengend.
    Die Zugfahrerei ging ihm jetzt schon auf die Nerven, und er begann sich zu fragen, warum er diesen Irrsinn überhaupt machte. Aber die Rechnung war einfach: Wenn sie ihn suchten – und das konnte ja sein, aus Gründen, die er selbst nicht wusste, zum Beispiel, weil sie doch irgendwie seinen Namen herausgefunden hatten –, dann sperrten sie die Ausfallstraßen, durchforsteten die Flughäfen, die Bahnhöfe und die ICE s, mit denen man schnell außer Landes kommen konnte. Aber nicht die regionalen Bummelzüge von Posemuckel nach Kleckerswerder. Bei seiner Odyssee fuhr er zwar acht Stunden länger, aber er sparte auch hundertfünfzig Euro, das waren knapp zwanzig Euro die Stunde, und einen derartigen Stundenlohn hatte

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