Bezaubernde Spionin
verstand tatsächlich nicht, worauf die Königin eigentlich hinauswollte. Und ebenso wenig war ihr klar, warum sie so lange um den heißen Brei herumredete. Genau genommen verstimmte sie das Verhalten der Königin sogar ein wenig, was sie sich natürlich niemals anmerken lassen würde. Sie sah hilfesuchend zu Juliet hinüber, die Aylinns Blick mit großen Augen erwiderte und sie anzuhalten schien, ja die Ruhe zu bewahren. Aylinn biss die Zähne zusammen. Nun gut, sie wollte diesen Auftrag, sie wollte weg aus Perth, sie wollte Campbell House und Schottland den Rücken kehren, und sie wollte endlich die Erinnerung an diese blauen Augen und diese zärtlichen, kräftigen Hände loswerden, an diese glühenden Lippen, an diese wundervolle …
Sie fächerte sich rasch Luft zu, als die Hitze unerträglich zu werden schien. Was war nur mit ihr los?
Wenn ihr dieser Wunsch nur dann erfüllt wurde, wenn sie die umständliche Befragung Joan Beauforts über sich ergehen lassen musste, dann sei dem so. Aber Aylinn hatte Mühe, sich auf die Worte der Königin zu konzentrieren.
»Gewiss habt Ihr jetzt lange genug wegen des Verlustes Eures Vaters getrauert, den Ihr, wie es die Pflicht einer braven Tochter ist, trotz seiner … bedauerlichen Mängel«, sie biss die beiden Worte förmlich heraus, »gewiss aufrichtig geliebt habt.«
Aylinn atmete erleichtert auf. Offenbar hatte die Königin doch keine Ahnung von ihrem eigentlichen, heimlichen Beweggrund, diese gefährliche Reise anzutreten, die sie von Schottland wegführen würde, weg vom schottischen Hof und vor allem weg von einem ganz bestimmten Mann.
» … aber«, fuhr die Königin fort, »erlaubt Uns ein offenes Wort, Herzogin, Ihr seid im besten Heiratsalter, und wie es scheint«, die Königin hob die Hand, um Aylinns hitzige Proteste zu unterbinden, »seid Ihr nicht geneigt, irgendwelche Kandidaten auch nur aus Gründen der Höflichkeit in Erwägung zu ziehen, weder ausländische noch schottische. Wir haben bisher Eure Entscheidung respektiert, Lady Aylinn, ungeachtet Eurer Gründe.« Joan Beaufort beugte sich ein wenig vor, und Aylinn hielt unwillkürlich den Atem an, als sie den durchdringenden Blick der Königin auf sich fühlte. Kam jetzt eine Bemerkung darüber, dass sie dem höfischen Leben nicht nur aus Trauer über ihren Vater auswich, sondern weil sie damit auch dem Lordkämmerer am schottischen Hof aus dem Weg gehen konnte? Und zwar weil dieser Mann nicht nur ihren Vater getötet, sondern ihr auch das Herz gebrochen hatte? Vermutlich wusste die Königin, dass ihre Gefühle zu Rupert von Atholl dafür verantwortlich waren, dass sie keinen anderen Freier auch nur angesehen hatte. Die Frage war, ob das in irgendeiner Weise die Entscheidung der Königin beeinflussen könnte, sie nach England zu schicken. Und wenn, dann hoffentlich nur positiv, jedenfalls hoffte Aylinn das.
»Die Frage ist, ob der Herzog von Bedford die Entscheidung seiner Nichte ebenfalls respektieren wird.«
Aylinn musste sich zusammenreißen, um nicht vernehmlich auszuatmen, und merkte erst jetzt, dass sie unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Das war es also! Die Königin machte sich Sorgen, dass John sie vielleicht zu einer Ehe drängen könnte. Sie hätte fast aufgelacht. Wenn die Königin gewusst hätte, wie wenig Anlass zur Sorge sie in diesem Punkt hatte.
»Majestät«, begann Aylinn, doch die Königin unterbrach sie erneut mit einer Handbewegung.
»Um am Englischen Hofe die Aufgabe zu erfüllen, über die Ihr mit Unserer Cousine Juliet ausführlich gesprochen habt«, fuhr Joan Beaufort fort, »müsst Ihr Euch dort frei bewegen können. Um das zu können, müsst Ihr Euch des Wohlwollens von John von Bedford versichern. Nun hatte Uns der Herzog in mehreren Episteln seiner Empörung und seines Schmerzes über den Verlust seines, wie er schreibt, heiß geliebten Cousins Argyll von Albany durch die Hand eines schnöden Mörders versichert und seiner Sorge Ausdruck verliehen, dass Euch ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte, da Wir diesen Mörder sogar zu Unserem Lordkämmerer gemacht haben.« Sie wedelte wieder mit ihren langen, schlanken Fingern. »Wenn Ihr jetzt, auf eigenen Wunsch hin, nach England geht, dürfte diese Sorge des Herzogs sicherlich zerstreut sein. Aber Wir gehen davon aus, dass sich hinter der vorgeblichen Anteilnahme des Herzogs für seine entfernte Großnichte etwas ganz anderes verbirgt; Ihr tragt, verehrte Herzogin, einen großen Namen, und Ihr bringt einen sehr
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