Bezaubernde Spionin
und das nicht nur wegen der Gefahr, in die er Euch bringen könnte.« Sie streckte die Hand aus und legte sie auf die Hand von Juliet McPherson. »Meine liebe Cousine hat mir bereits versichert, dass es Euer sehnlichster Wunsch wäre, sozusagen für Uns in die Höhle des englischen Löwen nach England zu gehen.« Ihr Lächeln veränderte sich keine Nuance, als sie ihre Hand wieder zurückzog, sie auf die Lehne ihres Stuhls legte und mit ihren langen, vornehmen Fingern wie abwesend über den geschnitzten Löwenkopf strich. Der kostbare Siegelring mit dem Wappen Schottlands an ihrem Mittelfinger funkelte im Licht, das durch das bunte Glas des Fensters fiel. »Nun ist John von Bedford aber nicht nur der faktische Regent Englands, sondern auch mit Euch verwandt. Er ist Euer Onkel, wenn Wir nicht irren, was Uns auf der einen Seite zum Vorteil gereicht, weil sein Misstrauen Euch gegenüber zweifellos nicht ganz so groß sein wird, vor allem in Anbetracht der tragischen Umstände, unter denen Euer Vater, sein Freund, ums Leben gekommen ist …« Sie ließ die Worte ausklingen und musterte Aylinn abwartend.
»Er ist ein entfernter Cousin meines Vaters, Majestät«, erwiderte Aylinn und senkte den Kopf, um das Funkeln ihrer Augen zu verbergen. »Und er war zweifellos in die … unseligen Pläne meines Vaters verwickelt.« Sie holte tief Luft, hob den Kopf und erwiderte dann den prüfenden Blick der eisblauen königlichen Augen, die von dem herzlichen Lächeln auf dem Lippen der Königin kein Grad erwärmt wurden. »Pläne«, fuhr sie fort, »die mich, wie ich wohl sagen darf, in meinem Entschluss, in Eurem Auftrag und mit Eurer Billigung nach England zu gehen, nur umso mehr bestärken.«
Aylinn musste sich zusammenreißen, um bei ihren Worten nicht trotzig den Kopf zu heben. Erneut beglückwünschte sie sich, dass sie Juliet McPherson zu ihren Freundinnen zählen durfte. Denn Juliet hatte sie nicht nur in den Plan eingeweiht, den sie mit der Königin und dem König ausgeheckt hatte, sondern sie hatte ihr auch einiges über den Charakter von Joan Beaufort erzählt.
Die schottische Königin wurde trotz ihrer erst kurzen Amtszeit von den meisten ihren Untertanen wegen ihrer Liebenswürdigkeit geliebt. Die wenigen Male, die Aylinn ihr bisher begegnet war, hatte sich die Königin auch ihr gegenüber sehr charmant und zuvorkommend verhalten. Am schottischen Hof wurde Joan Beauforts Charme zwar ebenfalls geschätzt, aber den Respekt, den man ihr hier entgegenbrachte, hatte sich die Frau von James I., jedenfalls nach Juliets Schilderung, vor allem durch ihren scharfen Verstand, ihre Geschicklichkeit bei Verhandlungen und ihre Härte im Umgang mit ihren und den Gegnern des schottischen Königreichs erworben. Selbst die aufsässigsten Clanchiefs und Chieftains der englandfreundlichen Lowland-Clans zollten ihr Respekt und behandelten sie, wie man einen ernst zu nehmenden Gegner behandeln sollte.
Als Aylinn jetzt den kühlen Blick der Königin auf sich ruhen spürte, wusste sie auch, warum das so war. Sie hatte fast das Gefühl, als würde die Königin durch sie hindurchblicken können, durch ihre Fassade, die Maske, die sie seit einem Jahr trug und die sie für undurchdringlich hielt. Sie hob unwillkürlich etwas den Kopf und achtete dabei darauf, dass es ihr nicht als Hochmut ausgelegt werden konnte, aber weit genug, um zu signalisieren, dass sie sich ihres eigenen, keineswegs geringen Standes durchaus bewusst war und sich nicht so leicht einschüchtern lassen würde. Schließlich dürfte die Königin schwerlich daran interessiert sein, ein furchtsames Lamm unter die Löwen des englischen Hofes zu schicken.
Joan Beauforts Lächeln verstärkte sich, und der Blick ihrer kühlen blauen Augen schien sich ein wenig aufzuwärmen. »Eure Loyalität Schottland und Unserem König gegenüber steht hier keineswegs infrage, Herzogin«, sagte sie, und ihre Lippen zuckten, als sie die Röte in Aylinns Gesicht bemerkte. »Und zwar nicht nur, weil Unsere Cousine sich für Euch eingesetzt hat.« Sie warf Juliet, die dem Gespräch schweigend, aber aufmerksam folgte, einen kurzen Seitenblick zu. »Wir fragen Uns nur …«, erneut machte die Königin eine kleine Pause, sprach jedoch weiter, bevor Aylinn Gelegenheit bekam, das Wort zu ergreifen. »Wir fragen Uns nur, ob Euer sehnlicher Wunsch, Schottland zu dienen, um die Schmach ungeschehen zu machen, die Euer Vater auf Euren Namen geladen hat …« Ihre Stimme klang einen Augenblick hart und kalt,
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