Bezaubernde Spionin
der Ausdruck kalter Wut mit einem Schlag aus seinem Blick und wurde von etwas anderem ersetzt, etwas Dunklerem, noch Tieferem …
Aylinn schluckte, als sie das Gefühl erkannte, das sich in Ruperts Augen abzeichnete. Der Blick, mit dem er sie musterte, war ein Blick voller Trauer, einer tiefen, untröstlichen Trauer. Aylinn konnte einen Moment kaum atmen, und ihr war, als würde sie sich in diesem Blick verlieren, in diesen Augen. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, sie wiederzusehen, ihren Blick beinahe körperlich auf ihrer Haut zu spüren, sich darin zu verlieren. Als sie jetzt wie gebannt im Thronsaal stand, überwältigt von den Gefühlen, die allein sein Blick in ihr auslöste, schien das ganze letzte Jahr ausgelöscht zu werden; es schien alles ausgelöscht zu werden, der Tod ihres Vaters, das Schicksal Schottlands, ihre Trauer, ihre Wut, ihr Schmerz. Das Einzige, was übrig blieb, waren diese blauen Augen, und das Gefühl, das aus ihrem Blick sprach.
Aylinn rauschte das Blut in den Ohren, und ihr Puls hämmerte wie verrückt, während sich in diesem Moment gleichzeitig eine Klammer um ihr Herz zu lösen schien; eine Klammer, die es so lange gefangen gehalten zu haben schien und die jetzt in tausend Stücke zerbarst. Was auch immer zwischen ihnen stehen mochte, was auch immer Sir Rupert getan haben mochte, sein Blick verriet ihr nur allzu deutlich, dass sich ihr Herz damals in jener Nacht nicht geirrt hatte. Seine Gefühle für sie waren aufrichtig gewesen. Er hatte sie damals geliebt, und ganz offensichtlich tat er es auch jetzt noch, immer noch.
Aylinn verspürte einen leichten Schwindel, als sie seinen Blick erwiderte, sich in seinen Tiefen verlor.
Und sie, sie liebte ihn. Trotz aller Widerstände, trotz all der Stimmen, die ihr gesagt hatten, dass sie den Mörder ihres Vaters nicht lieben konnte, nicht lieben durfte. Äußere Stimmen, Stimmen von Freunden ihres Vaters, Freunden ihrer Familie. Einflussreiche Stimmen bei Hofe; aber auch ihre innere Stimme, die ihr erschüttert und zutiefst verletzt immer wieder gesagt hatte, dass ein solcher Mann, ein Mann, der den Vater der Frau tötete, die er angeblich liebte, dass dieser Mann sie unmöglich achten und respektieren oder gar beschützen und ehren konnte.
All diese Stimmen verstummten unter diesem Blick, der so traurig und doch so zärtlich war, dass ihr Herz aus ihrem Busen zu flattern schien, diesem Mann entgegen, diesem einen, wunderbaren, hinreißenden Mann, der …
… in diesem Moment den Kopf neigte, um Lady Georgina Harrington anzulächeln.
Aylinn hatte das Gefühl, jemand hätte ihr einen Kübel Eiswasser über den Kopf gegossen. Und gleichzeitig kam sie sich vollkommen albern vor. Sie ballte die Hände an den Seiten zu Fäusten, als sie tapfer dagegen ankämpfte, in Tränen auszubrechen. Sie neigte normalerweise nicht dazu, schnell zu weinen, und das letzte Mal hatte sie geweint … Sie schluckte, als sie sich daran erinnerte. Es war vorgestern gewesen, als sie im Palast von Perth angekommen und bei einem Gang durch die Korridore an dem Zimmer vorbeigekommen war, in dem sie vor fast einem Jahr mit Rupert …
Sie hob den Kopf, während das Rauschen in ihren Ohren langsam nachließ und sie ein dumpfes Brausen ausmachen konnte, das eindeutig nach Stimmengewirr klang.
» … Mörder, sage ich! Er hat Argyll von Albany heimtückisch …«
» … lasst Euch nicht provozieren, Sir Rupert. Ihr wisst sicherlich, wie diese Clansleute sind. Herzog John bezeichnet sie als Barbaren, und ich muss gestehen, nachdem ich jetzt erlebt hatte …«
»Majestät! Verzeiht, Majestät, aber auch wenn das Benehmen dieses Schotten ungeheuerlich ist, kann ich nicht umhin zu bemerken, dass er in der Sache …«
Noch andere Stimmen mischten sich in diesen Chor von aufgeregten Rufern, aber Aylinn hatte nur Augen und Ohren für Rupert, der nur wenige Schritte von ihr entfernt dastand und dieser englischen Gesandten zu lauschen schien, die beinahe aufdringlich zutraulich ihre Hand auf seinen Ärmel gelegt hatte. Aylinn überlief es heiß und kalt bei diesem Anblick, aber dann straffte sie ihre Schultern und hob ihr Kinn. Selbst wenn diese Geste nicht viel zu bedeuten haben mochte, sie hatte gesehen, wie Ruperts Augen gefunkelt hatten, als diese Lady Harrington zu dem Podest mit den Majestäten geschritten war. Sicher, alle anderen Männer im Saal hatten ebenfalls hingesehen, und man hatte die Spannung beinahe fühlen können, und außerdem hatte sie keinerlei
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