Bezaubernde Spionin
Recht auf Rupert von Atholl. Immerhin war sie ihm ja seit fast einem Jahr geflissentlich aus dem Weg gegangen, hatte sich sogar verleugnen lassen, als er sie in Campbell House aufgesucht hatte. Wieso wunderte es sie jetzt, dass er sich weiblichen Reizen gegenüber empfänglich zeigte? Immerhin war er nur ein Mann.
Aylinn biss die Zähne zusammen! Sie musste endlich aufhören, sich mit den Gedanken an Sir Rupert von Atholl zu peinigen! Das war ja schon fast krankhaft! Sie sollte lieber anerkennen, dass Sir Rupert von Atholl auch nur ein Mann war wie jeder andere auch. Jeder Gedanke an ihn war gefährlich und brachte sie nicht weiter, vor allem im Moment nicht. Sie musste sich zusammenreißen, sich auf ihre Aufgabe konzentrieren.
Dennoch, aus irgendeinem Grund erschütterte es sie, dass Rupert offenbar genauso war wie alle Männer. Sie hatte gedacht, er wäre etwas Besonderes, aber ganz offenkundig hatte sie das nur getan, das musste sie jetzt zugeben, um ihr gemeinsames Erlebnis aufzuwerten. Sie, Aylinn von Albany, verschenkte ihr Herz und ihren Körper schließlich nicht an einen gewöhnlichen Mann! Es musste schon ein besonderer Mensch sein, der sie zu erobern verstand, einer, der sie begehrte, auf Händen trug, achtete, respektierte …
Aylinn schloss kurz die Augen. Stell dich endlich der Wahrheit, ermahnte sie sich.
Sir Rupert von Atholl war letztlich ein Stewart und wie alle Stewarts offenbar ein eiskalter und berechnender Politiker und außerdem der Grund, aus dem sie sich von Juliet hatte überzeugen lassen, dass sie die geeignetste Person war, die als Gesandte im Auftrag des Königs nach England zu John von Bedford ging. Sie hatte von ihm Abstand gewinnen wollen, was ihr auch gelungen war. Und wenn sie jetzt sah, wie er sich von dieser englischen Schlange einwickeln ließ, wusste sie auch, warum das eine gute Entscheidung war und wieso jeder Gedanke daran, dass sie vielleicht doch noch eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft hatten, reine Zeitverschwendung war.
Sir Rupert von Atholl war einfach nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte.
Ist das nicht ein klein wenig übertrieben?,
erkundigte sich eine leise, fast schüchterne Stimme in ihrem Hinterkopf.
Suchst du nicht einfach nach einem Anlass, Zorn auf ihn zu empfinden? Weil es dir dann leichter fällt, deinen wahren Gefühlen ihm gegenüber …
»Nein!«
Die leise Stimme verstummte, als Aylinn ihr entschieden widersprach. Sie sah hoch und zuckte im nächsten Moment heftig zusammen. Die Blicke sämtlicher Umstehender waren auf sie gerichtet, und ihr wurde schlagartig klar, dass sie das Wort laut ausgesprochen hatte.
Der König und die Königin sahen sie ebenso verdutzt an wie Sir Archibald Grant, Lady Georgina Harrington, Lord Peter Cunningham und sogar William Douglas.
Dass Rupert sie ebenfalls anblickte, wusste sie, auch ohne dass sie zu ihm hinsah. Aber sie dachte gar nicht daran, ihn eines Blickes zu würdigen. Sie straffte die Schultern, hob das Kinn und stand langsam auf.
»Nein, Herzogin?«, erkundigte sich James I. leicht amüsiert. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr mit Lord Cunninghams Vorschlag nicht einverstanden seid?«
»Ich … ich … Verzeiht, Majestät«, erwiderte Aylinn, der klar wurde, dass es schon vor ihrem Ausruf ziemlich ruhig im Saal geworden war und sie nicht nur sehr laut gerufen, sondern dabei auch noch äußerst ungehörig den König unterbrochen hatte. Aber das Schlimmste war, dass sie nicht einmal wusste, was dieser Cunningham gerade gesagt hatte. Sie hoffte, sie hatte soeben nicht etwa die Pläne sabotiert, die sie, Juliet und die Königin so sorgfältig geschmiedet hatten. Und ebenso inständig hoffte sie, dass Rupert nicht erriet, wie sehr es sie aus der Fassung gebracht hatte, ihn mit Georgina Harrington zu sehen. Und das, obwohl sie doch gar nichts von ihm wollte.
Ha!
Aylinn knirschte fast mit den Zähnen, als sich die leise Stimme in ihrem Hinterkopf wieder meldete. Diesmal jedoch hatte sie sich besser in der Gewalt. Und außerdem wartete Seine Majestät, der König von Schottland, noch auf ihre Antwort.
»Nun, ich dachte, Majestät …«
»Ihr dachtet zweifellos, Lady Aylinn«, unterbrach sie eine kühle Stimme, »dass die Bemerkung des englischen Gesandten ein wenig … an den Haaren herbeigezogen ist, habe ich recht?«
Aylinn konnte sich gerade noch davon abhalten, herumzufahren und den Sprecher wütend anzufunkeln.
»Das würde ich nun wirklich für maßlos übertrieben halten, Sir Rupert.
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