Bezaubernde Spionin
Sir Rupert kühl, fast eiskalt, und sehr beherrscht, was ihn umso gefährlicher machte.
Sir Archibald wusste, dass Seine Majestät eigentlich einen anderen für den Posten des Lordkanzlers ausersehen hatte als ihn, nämlich ebendiesen jungen Mann hier neben ihm. Doch Sir Archibald genoss unter den schottischen Clanchiefs und Chieftains großen Respekt, selbst unter den Chiefs der Lowlands, die dem Monarchen so feindselig gegenüberstanden, und so einen Mann brauchte James I. unbedingt an seiner Seite, um zu verhindern, dass das Reich nach seiner Thronbesteigung von einem Bürgerkrieg zerrissen wurde.
Dieser kühle, überlegene junge Stewart, der trotz seiner Herkunft, stammte er doch aus einer Familie, die jedem König von Schottland, der nicht aus ihren eigenen Reihen stammte, feindselig gegenüberstand, war zwar die erste Wahl des Königs gewesen, doch seine Ernennung zum Lordkanzler hätte die Loyalität der Clans auf eine zu große Probe gestellt; jedenfalls so kurz nach der Thronbesteigung.
Also hatte sich Sir Archibald bereit erklärt, den Posten des Lordkanzlers sozusagen »auf Zeit« zu übernehmen, was er auch seiner Gemahlin Lady Hester hatte versprechen müssen. Die ihn nachdrücklich daran erinnert hatte, dass er in seinem so, wie sie es ausdrückte, ebenso überraschenden wie erfreulichen dritten Frühling, nicht nur Pflichten Schottland gegenüber zu erfüllen hätte.
Jedenfalls würde Sir Archibald so lange das Amt des Lordkanzlers ausüben, bis sich die politische Lage in Schottland genug stabilisiert hatte, dass James ihn gefahrlos aus »Altersgründen«, was Lady Hester zweifellos mit einem höhnischen Schnauben abtun würde, und in allen Ehren entlassen und den hochintelligenten, kühl kalkulierenden, gewandten, gebildeten und beherrschten Rupert von Atholl zu seinem Kanzler machen konnte.
Sir Archibald hob unwillkürlich seine buschigen, grauen Brauen, als er jetzt diesen hochgelobten Lordkämmerer musterte.
Hochintelligent und gebildet mochte er ja sein, aber von kühl, kalkulierend und beherrscht war bei Rupert im Augenblick nichts zu sehen. Im Gegenteil. Der junge Stewart wirkte, als würde er am liebsten jemanden erdrosseln. Sir Archibald schüttelte den Kopf. Sir Rupert musste endlich aufhören, irgendwelchen Weibsbildern den Kopf zu verdrehen. Obwohl, eigentlich tat er das ja auch gar nicht. Es war eher so, dass die Frauen dem gut aussehenden Lordkämmerer nachliefen. Damals, bei Aylinn von Albany, war das sicherlich etwas anderes gewesen. Aber Sir Archibald hatte gesehen, wie diese englische Schlange, Lady Georgina Harrington, Lady! Ha!, Sir Rupert mit ihren Blicken förmlich verschlungen hatte. Meine Güte, selbst ihm war warm geworden, als er das beobachtet hatte, und er war zweifellos nicht der Einzige im Thronsaal gewesen, dem dieses kleine Intermezzo aufgefallen war.
Sir Archibald schnaufte, stellte den Pokal mit dem Wein auf den Tisch und riss sich aus seinen Überlegungen, als ihm dämmerte, dass im Augenblick jedoch er, Archibald, offenbar das Ziel von Sir Ruperts Groll war. Auch wenn sich der Zorn des Lordkämmerers gewiss gegen eine ganz andere Person richtete, aber …
»Archibald!«
Richtig. Sir Archibald nickte, als ihm einfiel, was er gerade hatte sagen wollen. »Wie ich also gesagt hätte, wenn Ihr mich nicht dauernd …«
»Archibald!«
»Schon gut, mein Junge.« Archibald holte tief Luft. »Aylinn von Albany ist zweifellos ebenso attraktiv wie dickköpfig, das wisst Ihr selbst ja wohl besser als ich. Und wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hat, als Gesandte Schottlands nach England zu reisen, dann vermutlich aus einem sehr triftigen Grund, den wir nur …«
»Das werde ich nicht zulassen!«, unterbrach Rupert ihn gereizt. »Niemals! Ich verstehe einfach nicht, wie der König auf eine derartig verrückte Idee kommen konnte! Vielleicht steckt Joan Beaufort dahinter! Obwohl die Königin eigentlich viel zu gewieft ist, um … «
Sir Archibald hob erneut die Brauen und räusperte sich vernehmlich. »Mylord! Ich muss schon sagen! Ich würde doch an Eurer Stelle Eure Stimme ein wenig …«
»Ja, ja, schon gut, Sir Archibald.« Rupert machte eine wegwerfende Handbewegung. »Selbst wenn die Wände hier Ohren haben, das ist mir im Moment ziemlich gleichgültig.« Er ballte die Faust und schlug sie klatschend in die andere Hand. »Nein. Vermutlich stammt der Vorschlag, Aylinn nach England zu schicken, von diesem hinterhältigen Cunningham. Beziehungsweise von seinem
Weitere Kostenlose Bücher