Beziehungskiller: Kriminalroman (German Edition)
die
Landschaft. In der Tasche meines Jacketts befand sich mein Cäsar, den ich dort
hineingesteckt hatte, um mir ein wenig Sicherheit holen zu können, wenn ich sie
brauchen sollte. Das war damals beim Rigorosum gut gegangen, und seitdem
betrachtete ich das Buch als Talisman. Der Cäsar steht tagein tagaus, bei Hitze
und bei Kälte, bei Sparpaketen und Eurofighterkauf in der letzten Reihe der
Regale. Nie leiht es wer aus, es wartet nur auf mich, wenn ich es brauche. Ich
schlug es aufs Geratewohl auf und begann genussvoll zu lesen. Es war genau die
Stelle, an der die in Alesia eingeschlossenen Gallier darüber diskutieren,
welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Die aussichtslose Lage brachte unter
anderem den Vorschlag eines der Fürsten, Frauen und Kinder zu schlachten, was
einerseits die Vorräte entlasten würde und andererseits ein beträchtliches
Quantum an Frischfleisch zur Verfügung stellen würde. Solcherart verpflegt
sollte es ein Leichtes sein, die Belagerung bis zum Eintreffen der Verstärkung durchzuhalten.
Ich
lächelte grimmig. Gar so schlimm stand es mit mir noch nicht.
»Du
ziehst dich gar nicht um?«, erlöste mich Laura aus meinen Reflexionen.
»Wollte
ich eigentlich nicht. Soll ich mir eine Krawatte umbinden?«
»Das
wäre hübsch. Die dunkelgrün gemusterte passt gut zum grauen Jackett.«
Ich
steckte den Cäsar weg und fischte die gewünschte Halsbinde aus dem Wust, der im
Schrank hing. Vor dem Spiegel machte ich ein böses Gesicht und band sie mir
schnell um. Anschließend drehte ich mich um.
»Gut
so?«
»Was
für einen Vorteil ihr Männer doch habt. Wir müssen uns umziehen, schminken und
all den Blödsinn, und ihr macht drei Handgriffe, um denselben Effekt zu
erzielen.«
»Dafür
seht ihr viel besser aus. Na gut, du zumindest.« Laura trug einen dünnen, naturweißen
Pullover, einen dunkelgrauen Rock und eine Halskette mit kleinen Steinen, die
genau ihrer Augenfarbe entsprachen.
»Intelligenz
und starke Persönlichkeit kommen hervorragend zur Geltung«, merkte ich an.
Sie
lächelte, nahm meinen Arm und wir gingen hinunter.
VI
Unten im Esszimmer saßen schon
alle um den Tisch. Er war schön gedeckt. Wie alles im Haus hielt die Dekoration
eine geschmackvolle Balance zwischen einer verfeinerten städtischen Eleganz und
der den Umständen angepassten ländlichen Einfachheit. Tisch und Stühle bestanden
aus massivem Holz, das Tischtuch aus weißem, grobem Leinen war mit ein paar Feldblumen
in zwei Vasen geschmückt. Die Gedecke und Teller hingegen repräsentierten einen
moderneren Geschmack, klare Linien dominierten. Insgesamt eine geglückte Ehe
zwischen Handwerk und Design.
Für
Laura und mich waren noch zwei Stühle frei geblieben, leider nicht
nebeneinander. Laura saß beim Gastgeber und Urner, ich kam zwischen der Miss
und Krobath zu sitzen, Krobaths Frau daneben.
Duvenbeck
und Anne Krobath waren eifrig in ein Gespräch vertieft, von dem sie sich durch
unsere Ankunft nicht ablenken ließen. Die anderen hörten interessiert zu. Es
schien sich um Österreich zu drehen.
»Finde
dieses Barock-Katholische ja auch ganz nett. Aber diese Nörgelei, dieses
ständige ›Raunzen‹« – Duvenbeck betonte das Wort, als ob er ein ausgefallenes
Fremdwort verwendete – »ist schon schwer auszuhalten.«
Ich
hatte die ganze Zeit schon darauf gewartet, und in diesem Satz war es mir zum
ersten Mal geglückt, live und in Echtzeit das berühmte niederdeutsche ›st‹ zu
hören. Für an hochdeutsche Dialekte gewohnte Ohren klang diese Lautbildung doch
sehr nach geziertem Lispeln. Was gerade bei einem Leitwolf wie Duvenbeck, in
dessen Adern vielleicht noch ein wenig Störtebeker floss, seltsam anmutete. Ich
war noch mitten in einer Überlegung zur Gefangenheit des Einzelnen in den
Gewohnheiten seiner Kultur, als Krobaths Frau Duvenbeck Kontra gab.
»Ich
weiß nicht mehr, ob es Musil oder Friedell gewesen ist, der gesagt hat, dass
Raunzen die ›höchste Form österreichischen Patriotismus‹ ist, die sich denken
lässt.«
Sie
sprach klar und distinguiert, wie man es sogar bei den großen Familien im 1.
Bezirk nur mehr ganz selten hört. Das ›a‹ einen Hauch nach ›o‹ hin und mit
einer Idee Walzertakt in der Betonung.
»Raunz’
nicht, sauf«, meinte Urner und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas.
Alle
blickten ein wenig verwundert. Duvenbeck und die junge Miss, weil sie die alte
Werbung nicht kannten, der Rest über Urners Ungehobeltheit.
»Pierre,
er spielt auf eine alte
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