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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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denkt eine Zeit nach. Dann zuckt er die Schultern.
    »Ich weiß nicht mehr genau, wie es wirklich war. Aber die Geschichte ist gut.«
    »Finde ich auch«, sage ich.
    Er mustert mich.
    »Und was noch?«
    »Was meinst du?«, sage ich, mal wieder überrascht, wie leicht er mich lesen kann.
    Er lächelt schwach.
    »Jesses, wieso haben wir eigentlich nie um Geld gepokert? Also, was ist es, willst du einen Vorschuss?«
    Ich schaue ihn verständnislos an, und fast frage ich, Vorschuss worauf, aber mein Verstand stellt noch rechtzeitig Zusammenhänge her.
    »Eigentlich habe ich morgen einen wichtigen Job.« Er hebt die Augenbrauen.
    »Auf dem Boot?«
    »Schiff. Nein. An Land.«
    Ich versuche ihm den Ablauf der Castings zu erklären und dass ich, zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder, in eine letzte Runde vorgestoßen bin. Das Wie lasse ich mal beiseite.
    »Du stehst also im Endspiel«, fasst er es zusammen. »Na ja«, lächele ich, »so ähnlich.«
    Er schaut mich fragend an.
    »Was machst du dann noch hier?«
    Ich schaue ihn an und suche nach Worten. Er schüttelt den Kopf und winkt ab.
    »Schieb es nicht auf mich. Ich will nicht der Grund sein, aus dem mein Sohn sein Endspiel verpasst.«
    Ich rutsche näher, schnappe mir seine Hand und nehme sie zwischen meine.
    »Ich weiß. Aber ...«
    »Keine Angst, so schnell sterbe ich nicht«, unterbricht er mich.
    Ich starre ihn an.
    »Versprochen«, sagt er und drückt meine Hand. «Wetten?« »Um was?«
    Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Stattdessen verzieht er das Gesicht und stöhnt.
    »Far ...«
    Er beißt die Zähne zusammen, zieht seine Hand an sich und ballt sie zur Faust. Ich werfe einen Blick zu der Packung mit der Notfallspritze.
    »Brauchst du noch eine? Nick einfach.«
    Er schüttelt den Kopf, atmet gepresst und scheint wieder in sich hineinzuhorchen, um die Stelle zu orten, den Schmerz im Zentrum zu töten. Ich schaue ihm hilflos zu und versuche klarzukommen, versuche es rational zu verstehen, zu funktionieren. Doch ich kann nichts dagegen machen. Mir wird wieder kalt. Meine Finger und Zehen werden gefühllos. Ich bin wie gelähmt. Ich sollte ihm helfen. Stattdessen rufe ich um Hilfe.
    »Ebba!«
    Noch während ich rufe, überkommt mich ein intensives Schamgefühl, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Ich bin so ein gottverdammtes Weichei! Ich lasse meinen Vater im Stich!
    Sie kommt im Nachthemd herein, erkennt die Lage und bewegt sich erstaunlich schnell. In weniger als einer Minute hat sie die Spritze ausgepackt, aufgezogen und Far den Inhalt verabreicht. Die ganze Zeit sitze ich da und versuche nicht umzukippen. Es fühlt sich an, als wäre mein ganzes Blut abgezapft worden. Ich ertrage es einfach nicht,ihn leiden zu sehen. Ich muss mit Helle und Ole reden. Wir müssen Fars Dosis erhöhen. Er soll keine Schmerzen haben. Niemand sollte das. Niemand.
    Nach und nach entspannt er sich. Erst zögernd, als würde er dem Braten nicht trauen, dann, als er merkt, dass das Morphium wirkt, erleichtert, bis sein Körper völlig entspannt ist. An seiner Körperhaltung merke ich, wie verkrampft er die ganze Zeit war. Wieder Schmerzen ausgehalten.
    Ebba steht neben dem Bett und streichelt seine Wange. »Geht’s wieder, Schatz?«
    Er nickt und schaut mich an.
    »Lies ... noch eine vor«, sagt er gepresst.
    Ich lecke mir über die trockenen Lippen, suche mit blutlosen, weißen Fingern eine andere Geschichte und beginne zu lesen. Als ich nach dem ersten Absatz den Blick hebe, hat er seine Augen geschlossen. Ich lese weiter und spüre, wie das Blut kribbelnd zurückkehrt. Schließlich lasse ich den Block sinken. Sein Mund steht einen Spalt offen. Er schläft. Und mein Blutdruck hat sich wieder gefangen. Ich kann nicht fahren. Ich kann einfach nicht aus dieser Haustür gehen und ihn so hier allein lassen. Was mache ich, wenn in der Zwischenzeit etwas passiert ...
    Ebba steht neben mir, die Spritze noch in der Hand. »Du schreibst seine Geschichten auf?«
    Ich nicke. Sie legt mir eine zerbrechliche Hand auf die Schulter und wirft Far einen Blick zu.
    »Damit machst du ihm eine große Freude.«
    Ich küsse ihre Hand. Sie streichelt mir übers Haar und mustert ihn, ihren Mann, der sie nie geheiratet hat, ihren Geliebten, ihren Lebenspartner, mit dem sie die letzten dreißig Jahre verbracht hat. Ihr Blick ist weich.
    Ich stehe auf, nehme den Block und gehe rüber ins Esszimmer. Sune schläft bereits auf dem Boden. Ich ziehe mich todmüde aus und kuschele mich an meine

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