Beziehungswaise Roman
ich morgen nicht auftrete, habe ich definitiv keine Agentur mehr. Clemens wird es sich nicht bieten lassen, dass er mich so weit durchschleust und ich dann nicht malanreise. Anders gesehen, wenn ich hinfahre und eine von Fars Geschichten bringe, wird er unzweifelhaft merken, dass meine Aggrocomedykarriere schon wieder vorbei ist, und, uiii, das wird ihn aber sauer machen. In beiden Fällen riecht es nach Konfrontation. Aber irgendwie ist das egal, wenn nicht gar richtig, denn es fühlt sich völlig falsch an, Fars Geschichten zu kultivieren und gleichzeitig ein Arschloch zum Agenten zu haben. Also gut, was tun? Ich muss mit der Familie reden. Meine große Stärke.
Am frühen Abend sitzen wir vor dem Fernseher und schauen Ebbas Quizshow. Far ist schon ins Bett gegangen. Sollte ich vielleicht auch, ich fühle mich, als hätte ich auf dem Bau gearbeitet. Was für ein Tag. Am späten Nachmittag kamen zwei Familien gleichzeitig, um Far ihr Mitleid auszusprechen. Er brachte sie mit seinen Sprüchen völlig durcheinander. Leider bekam ich nicht alles mit, denn Ebba scheuchte uns herum. Alles musste auf den Tisch, das beste Geschirr, alle Kekse, der eine mochte Schnaps zum Essen, der andere Eis zum Dessert, der Nächste Aschenbecher zwischendurch. Ebba war gestresst, konnte aber nicht kürzertreten. Auch alte Schule. Ich mag das. Wenn Tess so wäre, bräuchte ich sie nur zu lieben und zu ernähren, dann wäre sie immer bei mir, würde über meine Witze lachen und mich bekochen. Aber so ist sie nicht. Es würde ihr nicht reichen. Vielleicht wird sie mal später so. Hm. Das erinnert mich an meine erste große Liebe, die mir immer wieder sagte, dass ich mit dreißig ein richtig toller Mann werden würde. Doch so lange konnte sie leider nicht warten.
Vor dem Abendessen kam Helle noch mal, während Far mit seinem ehemaligen Chef Bjarne herumalberte. Beide erwähnten Fars Zustand mit keinem Wort. Die gute Laune und die blöden Sprüche der beiden waren kaum auszuhalten, und sosehr ich auch in den Gesichtern und Tonlagensuchte, fand ich keine Dissonanzen. Nur zwei Kumpels, die sich zu lange nicht gesehen haben. Es fehlten nur noch ein paar Urlaubspläne für den nächsten Sommer. Bjarne wartete geduldig, bis Far seine Spritze bekommen hatte. Dann blödelten sie noch fünf Minuten weiter, bis Far einschlief. Bjarne stand auf, sagte, es sei schön gewesen und bis zum nächsten Mal, und ging. Jeder reagiert anders. Manche glauben, es wird wieder. Andere sind einfach nur überfordert. Keiner bleibt lange. Wie es wohl für ihn ist, dass sie alle ihn jetzt so sehen? Tut er es für sie? Oder für sich? Würde ich es tun? Ich weiß es nicht. Ich weiß eh nicht viel, was meinen Tod angeht. Eigentlich nichts. Wozu auch, er ist ja noch so weit weg. Oder?
Wir raten müde um die Wette. Wer verliert, muss den Müll runterbringen. Ebba gewinnt meistens, und Sune schlägt sich nicht schlecht, ich liege jetzt schon neun Müllsäcke hinten, da ich mich die ganze Zeit frage, wie sie reagieren werden, wobei ich es mir denken kann: Vater krank, Sohn haut ab, um Spaß zu haben. Hallooo! Prima! Weiter so! Genau sofunktioniert positives Denken! Bloß andersherum! Als ich mich wieder einklinke, liege ich mit dreizehn Müllsäcken im Rückstand. Ich nehme ein bisschen Anlauf und sage es einfach. Ich müsste eigentlich morgen nach Köln. Ich hätte da einen Auftritt. Wie so verdammt oft habe ich mir ganz umsonst Negatives ausgemalt, denn weder trifft mich Gottes Blitzschlag, noch werde ich mit familiärem Liebesentzug bestraft. Sie wollen lediglich wissen, wieso ich das nicht früher gesagt habe, dann hätte ich einen billigeren Flug bekommen. Beide sind der Meinung, dass ich fahren soll. Sune sagt, es mache keinen Sinn, wenn ich auch noch meinen Job verlöre. Auch noch.
Ich gehe ins Schlafzimmer, um Far nach seiner Meinung zu fragen. Er schläft, also hole ich den Block aus dem Esszimmer und setze mich neben das Bett. Drüben redet derFernseher. Neben mir atmet mein Vater. Wie schön das ist, atmen. Bei der Kunst, sich das Geschenk des Lebens klarer zu machen, muss es Nirwana sein, sich immer bewusst zu sein, dass der Körper uns jederzeit automatisch mit Luft versorgt. Wir werden natürlich beatmet. Jede Sekunde. Jede Minute. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Ein Wunder. Vielleicht beruht das Wunder auf der Evolution, aber der Zustand ist definitiv Gott.
Das Bettlaken raschelt. Far öffnet die Augen und mustert mich desorientiert. Er scheint nach
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