Beziehungswaise Roman
Luft. Gleich muss ihm die Kraft ausgehen.
Oder auch nicht.
Hm.
»Also, du stirbst erst mal nicht, und ich mache meiner Ex einen Antrag?«
»Richtig«, sagt er.
Ich ergreife seine Hand und besiegele den seltsamsten Deal meines Lebens. Er wirkt zufrieden, horcht dann aber wieder so seltsam in sich rein. Seine Augen verengen sich etwas.
»Und jetzt ruf Ebba«, sagt er etwas gepresst.
»Ich dachte, das eben war dein letzter Wunsch.«
Im selben Moment krallt sich seine Hand um meine. Er wirft den Kopf in den Nacken, sein Körper wird steif. Sein linker Fußballen bohrt sich in die Matratze, und sein Mund öffnet sich zu einem lautlosen Schrei.
»EBBA!«
Sie kommt ewig später herein. Fars Hand schließt sich so fest um meine, dass ich mit aller Kraft gegenhalten muss. Schon ist die Spritze in seinem Arm, und nach kurzer Zeit erschlafft sein Körper. Seine Hand lässt meine los, und er schließt die Augen. Er versucht zu lächeln, ist aber schon weg. Wenig später werden seine Atemzüge wieder tief und regelmäßig. Ebba atmet schwer und mustert sein Gesicht. Ich wische mir die Tränen ab.
»Zeig mir ...« Ich wedele mit meiner Hand. »Zeig mir, wie man ihm die Spritze setzt.«
Sie zeigt es mir. Es ist nicht schwer. Eigentlich simpel. Wieso habe ich nicht schon früher gefragt? Ich will nie wieder Zuschauer sein, es macht einen fertig, ich will helfen können, vielleicht macht das einen auch fertig, aber nichts kann schlimmer sein, als hilflos zuzuschauen.
Es klingelt an der Wohnungstür, und einen Augenblick später kommen Ole und Helle herein. Sie werfen einen Blick auf uns und auf Far.
»Hej. Wie geht es ihm?«
»Er hat Schmerzen«, sagt Ebba.
Helles Blick huscht zu der aufgerissenen Notfallpackung. »Wir erhöhen die Dosis.«
Als ich mich überzeugt habe, dass Far wirklich schläft, gehe ich ins Wohnzimmer, rufe am Flughafen an und besorge mir den nächsten Flug nach Köln. Es gibt keinen. Ich fliege über Düsseldorf. In zwei Stunden. Für viel Geld. Mit Far voller Schmerzen im Schlafzimmer, doch ich habe keine Schuldgefühle. Wenn es das war, was er erreichen wollte, hat er es geschafft. Wir haben einen Deal, auf den ich alles schieben kann.
Im Esszimmer macht Ole sich über den Kuchen her, und Helle erklärt Ebba die Auswirkungen der neuen Dosierung und was sich ändern wird, wenn der Perfusor endlich eintrifft.Wir erfahren nebenbei, dass ihnen heute früh jemand gestorben ist. Aber die fehle ihnen nicht, sagt Ole, der Tod mache Arschlöcher nicht sympathischer. Helle schaut ihn an. Er zuckt die Schultern und schiebt sich ein Kilo Kuchen in den Mund. Ihre Fältchen um die Augen vertiefen sich etwas. Wenn man die beiden so sieht ... Auf meine Frage, ob sie ein Paar sind, müssen sie lachen.
»Meine Güte«, lacht Helle.
»Bestimmt nicht«, sagt Ole.
Wir lachen mit ihnen, und der Druck auf meiner Brust lässt nach. O Gott, wie ich Tess vermisse. Es klingelt an der Tür. Fars neues Bett kommt. Helle geht wieder. Ich baue mit Ole das Bett auf, dabei wird Far wach. Er schaut uns benommen zu, wird nicht richtig klar, scherzt aber, dass man erst umkippen muss, bevor der Staat einem endlich neue Möbel kauft. Die Wörter kommen langsam und zäh, als müssten sie erst eine lange Strecke zurücklegen. Ole zeigt mir einen Hebegriff, mit dem man den Patienten weniger weh tut und seinen eigenen Rücken schont, dann heben wir Far mühsam ins neue Bett. Far versucht uns zu helfen, aber er ist zu ausgeknockt. Als er endlich in dem neuen Bett liegt, streckt er mühsam die Hand aus, greift sich die Bedienung und fährt das Kopfteil hoch und runter. Er macht den Clown. Doch das Zimmer sieht jetzt aus wie ein Krankenzimmer. Ole verspricht Far, dass ab sofort alles besser wird, da er sich selbst versorgen kann. Er wird ihm später den Perfusor erklären. Far schläft längst wieder. Ole klopft mir auf die Schulter und hastet weiter zum nächsten Patienten.
Als ich Fars altes Bett in den Keller getragen habe, ordere ich mir ein Taxi und rufe in der Wartezeit Tess an. Sie fragt, wie es Far geht. Ich lüge. Ich vermisse sie. Sie vermisst mich. Ich werde zum Finale fahren. Sie findet das richtig und wünscht mir viel Glück. Zum ersten Mal seitlangem kann ich mich darüber freuen, dass sie mir einfach Glück wünscht, ohne daran zu denken, dass sie nicht kommt. Wie schnell man sich an manche Dinge gewöhnt und an andere nie. Dann sitze ich da und warte mal wieder auf ein Taxi, das mich von meiner Familie wegbringen
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