Beziehungswaise Roman
innen zu lauschen. Dann kehrt sein Blick aus weiter Ferne zurück.
»Morgu«, sagt er.
»Ja, Morgu dir auch. Es ist aber noch Sonntagabend.«
Er wirft einen halb wachen Blick auf den Block in meinem Schoß und greift nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch. An der Kraft, die er dabei aufwenden muss, könnte man glauben, er hebe ein Fass an. Er trinkt einen Schluck, reicht es mir, legt sein Gesicht wieder aufs Kissen und schläft sofort wieder ein. Ich beobachte ihn eine Weile und lausche seinem Atem. Dann stelle ich das Glas ab und beginne zu schreiben.
Die Schlafzimmertür öffnet sich. Ebba kommt herein. Sie wirft Far einen Blick zu, sagt, dass sie jetzt duscht und danach ins Bett geht. Sie nimmt sich ihr Nachthemd und ein Handtuch und geht wieder raus. Ich richte mich aus der kauernden Haltung auf. Mein Rücken schmerzt, aber mein Block ist seitenweise in Sauklaue vollgeschrieben. Hoffentlich kann ich es später entziffern. Zwei weitere Geschichten. Es wird eine Sammlung. Vielleicht ein ganzes Programm.
Wieder leises Stoffrascheln. Ich hebe meinen Kopf. Far mustert mich.
»Immer noch Sonntag?«
Ich nicke.
»Später Abend. Soll ich dir eine Uhr ans Bett stellen?«
Er blinzelt ein paarmal und schaut sich um, dann schüttelt er den Kopf.
»Nein, dann schaue ich bloß ständig drauf. Wo ist Ebba?« »Im Bad.«
Er atmet noch ein paarmal und scheint sich zu konzentrieren. Seine Augen werden klarer. Er richtet sich etwas auf, klopft sich das Kissen mit schwachen Handbewegungen zurecht und wirft einen Blick auf den Block auf meinen Knien.
»So habe ich dich lange nicht mehr gesehen.«
»Mache ich nur, weil ich keinen Laptop dabeihabe. Ich kann mittlerweile meine eigene Schrift nicht mehr lesen.«
Er schüttelt leicht den Kopf.
»Nein, ich meinte, so interessiert. Früher, wenn dich etwas interessiert hat, warst du einfach nicht totzukriegen, du brauchtest keinen Schlaf und ...«
Er atmet tief ein und hält die Luft an. Seine Augen schließen sich, und sein Gesicht verzerrt sich etwas. Er stöhnt einmal leise. Mein Blut fließt aus meinem Oberkörper ab. Von einem Augenblick auf den anderen werden meine Hände kalt.
»Far ...«
Er spannt alle Muskeln an. Ich sterbe vor Hilflosigkeit. »Far ...«
Gerade als ich nach Ebba rufen will, stößt er die Luft aus und richtet sich etwas auf.
»Es geht.« Er lehnt sich mit einem Seufzen zurück, atmet ein paarmal durch. »Es kommt in Wellen ...« Er versucht mich beruhigend anzulächeln. »Alles wieder gut«, sagt er und wirft einen Blick auf den Block. Er atmet noch ein paarmal, dann versucht er ein Lächeln. »Was wird das? Deine Memoiren?«
»Nein, deine.«
»Meine?«, fragt er überrascht.
Ich nicke.
»Die Geschichten von dir und Roland.«
Seine Augen flackern, als er versucht sich zu erinnern. »Welche?«
»Alle, die mir einfallen. Willst du eine hören?«
Er grinst ein kraftloses Grinsen.
»Ich müsste sie doch schon kennen, oder?«
»Ja, schon.«
»Na gut, Sohn, lies mir mein Leben vor.«
Ich setze mich zurecht und lese ihm die Geschichte vor, in der die Wände des Kaufhauses mit Graffiti beschmiert wurden. Roland und Far wurden jede Woche von der Geschäftsleitung zum Weißstreichen abkommandiert. Das nervte sie natürlich, und sie fragten sich, was man denn da tun könne. Sie verbrachten ein paar Nächte in Rolands altem Morris Marina, und bald hatten sie Erfolg. Bei Käffchen und Stullen schauten sie zu, wie eine Bande von jugendlichen Sprayern die Kaufhauswände beschmierte. Anschließend folgten Far und Roland den Kids unauffällig. Zwei Tage später fand in Dänemark ein wichtiges Fußballspiel statt. Als die ganze Nation vor den Fernsehern saß, machten Roland und Far sich mit ein paar Kollegen aus der Deko-Abteilung ans Werk. Sie bemalten ein paar Wände der Häuser, in denen die Kids wohnten, mit Motiven von tanzenden Jungs, küssenden Jungs, weinenden Jungs, mit Delfinen schwimmenden Jungs und – Rolands Idee – Milch trinkenden Jungs. Als Clou kopierte Pedersen aus der Deko die persönlichen Symbole der Graffitistars unter den Kunstwerken. Dann packten sie zusammen und gingen heim. Von den Kids hörten sie nie wieder was. Ich holpere ein bisschen beim Lesen, weil ich die Geschichte erst zurück ins Dänische übersetzen muss, aberes macht Laune. Als ich fertig bin, hebe ich den Blick. Far grinst müde und nickt mir zu.
»Gut gelesen. Das alles haben wir gemacht?«
»Na ja, du erzählst es mal mit Polizei und mal ohne.« Er
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