Beziehungswaise Roman
Gott, bei wie vielen solchen Filmszenen habe ich schon die Augen verdreht, und jetzt stehe ich hier. Ein Metapherorkan rast durch mein Gehirn. Sein Mädchen verschwand am Horizont, und ihm ward eisig. Es entschwand die Liebe, die ihn wärmte. Die soziale Kälte zog in seinem Herzen ein. Der Zug der Liebe war abgefahren.
Reisende hasten warm eingepackt an mir vorbei und werfen mir verwunderte Blicke zu. Ich bin der Einzige ohne Mantel und Mütze auf dem Fahrsteig, und laut Fahrplan fährt der nächste Zug erst in einer Stunde. Prima. Ich brauche dringend einen warmen Platz. Wieder schüttet mein Hirn mich mit Metaphern zu.
Eine Treppe führt in die Bahnhofshalle. An einem Bistro kaufe ich mir einen Becher Kaffee und setze mich damit in eine Aufenthaltshalle. Auch dieser Kaffee ist es wert, verschüttet zu werden, doch wenigstens wärmt der Becher mir die Hände. Die Leute machen einen Bogen um mich. Nur ein Obdachloser mustert mich.
Zeit vergeht. Langsam. Mein Denkvermögen ist keines. Ich gucke und trinke und nichts. Der Obdachlose kommt auf mich zugeschlurft. Er grinst mich mit schlechten Zähnen an und erklärt mir, der Kaffee hier am Bahnhof sei schlecht. Er deutet in Richtung Ausgang. Dort draußen gibt es einen besseren. Doch da draußen ist es kalt. Er nickt, mustert mein Hemd und zieht seinen dicken Mantel enger um sich. Er würde gerne eine Kaffeebude aufmachen, eine Art rollenden Kiosk. Damit könnte er dorthin rollen, wodie Leute guten Kaffee brauchen. Vor ein paar Jahren war er noch Vertreter. Er war schon immer gerne unterwegs und wäre gerne ins Ausland. Aber dann hat ein Freund ihn überredet, seine Ersparnisse in einer Ostimmobilie anzulegen. Da waren seine Ersparnisse futsch. In seinem Job lief es auch nicht so gut, und jetzt sitzt er hier. Auf die Frage, was mit seinen anderen Freunden ist, schaut er in die Bahnhofshalle. Denen geht es gut, sagt er dann. Vielleicht hätte er sich vorher um sie kümmern sollen, dann wären sie vielleicht jetzt für ihn da, aber das weiß man ja nie. Ich hole ihm ein Bier und mir einen Tee. Er erzählt von seinem damaligen Leben. Kein Wort über sein jetziges und dennoch relativiert es meine Situation. Ich habe Freunde. Ich habe ein Zuhause. Einen Ort, an dem ich mich jederzeit verstecken kann, wenn ich mich den Dingen nicht gewachsen fühle.
Zwischen zwei Schlucken danke ich ihm für seine Gesellschaft. Er missversteht es und schlurft weiter. Mir fehlt die Kraft, um das Missverständnis auszuräumen. Ich trinke noch einen Tee. Die Vorbeigehenden ignorieren mich weiter. Einen zu leicht bekleideten Mann, der angeschlagen aussieht und sich mit Pennern unterhält. He, ich hatte nur einen schlechten Tag. Das ist vielleicht der Anfangssatz aller Absturzgeschichten – nur ein schlechter Tag. Und der folgende wurde nicht besser.
Kapitel 6
Als ich in die Halle komme, liegt Frauke auf der Couch und zieht sich zum hundertsten Mal Titanic rein. Über ihr schwebt eine Rauchwolke, als würde das Schiff brennen. Sie legt den Kopf in den Nacken, atmet aus und fügt der Wolke einen weiteren Kubikmeter Rauch zu. Dann stemmt sie sich auf die Ellbogen und schaut zu mir rüber.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, wieso?«
»Vier Stunden, um zum Bahnhof zu fahren?«
»Hatte einen Unfall. Totalschaden. Tut mir leid.«
Sie lacht nicht. Stattdessen streckt sie einen Arm in die Luft und klappt die Finger mehrmals in die Handfläche. Ich werfe ihr den Autoschlüssel zu. Sie fängt ihn und wirft einen Blick zurück.
»Was wollte deine Agentur denn nun?«
»Hab noch nicht zurückgerufen.«
Sie seufzt.
»Kein Wunder, dass deine Karriere stagniert. Man sollte dich in Beugehaft nehmen.«
Ich deute auf den Bildschirm, wo Leo gerade über die Reling spuckt.
»Übrigens, er stirbt am Ende.«
Sie schüttelt den Kopf und lässt sich wieder auf das Kissen sinken.
»Diesmal schafft er es, ich weiß es.«
Ich könnte ihr erklären, dass das genau die Haltung ist, diees ihr ermöglicht, an ein Happyend mit dem Arschloch zu glauben, aber vielleicht bin ich gerade nicht der Richtige für ein solches Gespräch.
In meinem Zimmer riecht es nach Tess. Während ich die Laufsachen anziehe, bleibt mein Blick wieder an dem Sexschwein hängen. Wir kannten uns einen Monat, als ich nach großartigem Sex euphorisch aus dem Bett sprang und eine Münze in das Plastiksparschwein steckte, das wir irgendwann auf einem Trödelmarkt erstanden hatten. Tess machte mir eine Szene: Sexist! Unverschämt! Sie sei kein
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