Beziehungswaise Roman
zu trennen, die ich liebe. Liebe trennt nicht, Liebe verbindet. Oder?
»Tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe, das war unfair. Ich freue mich über deinen Erfolg, aber ...«, ich ziehe die Schultern entschuldigend hoch, »ich freue mich nur für dich. Nicht für mich. Für mich ist das alles nicht gut.«
Sie nickt mir zu, ermutigt mich, weiterzureden. Solange ich rede, muss sie es nicht. Ich merke, dass ich mit dem Salzstreuer herumspiele. Ich lasse ihn los und lege meine Hände flach auf den Tisch.
»Dein Job ... er nimmt viel Raum ein und ... es ist nicht gerade einfach ... es ... Süße, ich glaube einfach ... Ich meine, schau dir unser Leben an, wir sehen uns nur noch an Wochenenden, und jetzt willst du ins Ausland? Wie soll das denn funktionieren?«
»Was schlägst du vor?«, fragt sie, als wäre es allein mein Problem. Ich kenne sie lange genug, um nicht sauer zu werden. Sie ist bloß genauso hilflos wie ich.
»Na ja, ich ... In den letzten Jahren hat sich alles verändert, wir sehen uns zu wenig. Ich vermisse dich.«
Sie lächelt leicht und zieht die Nase hoch.
»Ich vermisse dich auch.«
»Ich weiß«, sage ich und weiß, dass es stimmt. Sie vermisst mich bloß nicht genug, um so zu leben, wie ich es brauche. »Vielleicht vermisse ich auch die alten Zeiten. Oder neue. In den letzten Jahren hatten wir eine Wochenendbeziehung, und jetzt China, was wird das, eine Jahresendbeziehung? ... Süße, ich ... Ich meine, glaubst du nicht auch ...«
Ich sehe, wie ihr Tränen in die Augen steigen. Sie wendet ihr Gesicht ab und schaut aus dem Fenster. Wir fahren durch einen Bahnhof. Ein paar Schilder. Ein paar Gebäude. Vorbei. Der Geschäftsreisende findet wieder Kontakt. Er redet leise und mit geschlossenen Augen, konzentriert auf die Argumentation des Unsichtbaren, so wie ich mich die letzten Jahre auf unser Potenzial konzentriert habe.
Tess wendet ihren Blick von der dahinrasenden Landschaft ab und blickt mich traurig an.
»Es tut mir leid.«
Ich schüttele den Kopf.
»Dir muss nichts ...«
»Doch«, unterbricht sie und reibt sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Sie klemmt die Strähne hinters Ohr und mustert mich wieder. »Ich weiß, was ich dir zugemutet habe.«
Ich hole Luft, doch sie wehrt mit einer Handbewegung ab.
»Nichts stimmt mehr, die letzten Jahre waren verrückt. Es war viel zu viel mein Leben und viel zu wenig unseres. Ich weiß das. Aber ... ich dachte ...« Sie zieht die Nase hoch.
»Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass ich dich vernachlässige, aber in langen Beziehungen gibt es eben unterschiedliche Phasen und ...«
Sie zwinkert ein paar Mal, dreht ihr Gesicht wieder weg und schaut aus dem Fenster. Eine Weide. Ein paar Bäume. Ein schneebedeckter Fußballplatz. Eine Brücke mit winkenden Irren. Irgendwann schaut sie mich wieder an und lächelt düster. Die vorbeiziehende Landschaft spiegelt sich in ihren nassen Augen. Tränen laufen ihr über die Wangen. Sie wischt sie mit ihren Zeigefingern ab.
»Die Arbeit ...« Sie befeuchtet ihre Lippen und sucht nach Worten. »Ich habe da etwas gefunden, was ich nie hatte. Ich kann wochenlang durcharbeiten und bin zufrieden.« Sie nickt und wischt noch mal über ihre Wangen. »Es erfüllt mich.« Sie schaut mich schnell an und lächelt kläglich, »Nicht so, wie wir mich erfüllt haben, aber ...« Sie legt ihre Hände auf meine und beugt sich beschwörend vor. »Liebster, ich weiß, dass die letzten Jahre schwer waren, aber ich liebe dich, und du liebst mich und ...«
Dunkel! Die Fahrgeräusche nehmen in dem Tunnel explosiv zu. Tess verstummt. Der Geschäftsreisende flucht auf Deutsch. Zwei Hände halten meine. In dem schwachen Licht der Notbeleuchtung wirken sie klein und zerbrechlich. Die Servicefrau entschuldigt routiniert den Ausfall der Beleuchtung. Hat sie schon auf der Hinfahrt reklamiert. Wird schon bald repariert. Niemand sagt was dazu. Der Geschäftsreisende beleuchtet seinen Tisch mit dem Handydisplay. Ich spüre die Wärme von Tess’ Händen und warte, dass wieder Licht in die Angelegenheit kommt.
Hell! Das Tunnelende knallt ebenso abrupt rein wie der Anfang. Die Fahrgeräusche nehmen sofort ab. Tess blinzelt mit geröteten Augen gegen das Tageslicht an. Der Geschäftsreisende nimmt wieder Verbindung zu London auf. Tess lehnt sich vor, stützt ihre Ellbogen auf den Tischund hebt meine Hände an, klemmt sie zwischen ihre. Ihre Augen schauen mich über meine Fingerspitzen an.
»Ich verstehe dich. Ich weiß, dass du mehr
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