Beziehungswaise Roman
plötzlich Schulden, die dich zwingen, die kommenden dreißig Jahre genauso erfolgreich zu sein, sonst zack – gehört alles der Bank. Dank der furchtbaren Beratung von Finanzexperten wird Erfolg zu einem Damoklesschwert, und wenn meine Einnahmen sich in nächster Zeit nicht verbessern, habe ich ein Problem. Dass Arne seine Miete nicht zahlt, macht es nicht besser, eigentlich sollte ich ihn längst mal darauf angesprochen haben, meine große Stärke, haha. Doch wer weiß, vielleicht ist jetzt ja der Knoten geplatzt, und ich werde zum Fachmann für unangenehme Gespräche. Das lässt sich leicht herausfinden ...
Ich schnappe mir den Hörer und wähle die Agenturnummer. Die Frau, die sich meldet, ist mir unbekannt, was nur fair ist, da sie mich fragt, wie man meinen Namen buchstabiert.Ich erkläre ihr, dass man ihn so schreibt, wie man ihn spricht, sie könne aber auch gerne den Agenturkatalog aufschlagen, dort stehe er geschrieben. Zur Strafe werde ich in die Warteschleife verbannt. Sie besteht aus einer Pointe von Ausbilder Schmidt. Nach ein paar Minuten bin ich kurz davor zu salutieren, und was ich vielleicht tatsächlich von ihm lernen sollte, wäre Disziplin. Erst den Schaffner, dann die Jecken und jetzt noch eine Sekretärin. Was kommt als Nächstes? Anonyme Schmähbriefe an den Bundespräsidenten?
»Clemens Dibrani«, sagt die ölige Stimme meines Agenten.
»Hi, Clemens, hier ist Lasse. Damkjær Nielsen«, füge ich sicherheitshalber hinzu.
»Von den Toten auferstanden«, lacht er kurz, aber herzlich. »Eigentlich waren es nur vier Wochen Urlaub«, sage ich, bevor mir einfällt, dass er vielleicht meine Karriere meint. »Du hast was für mich?«
Wieder lacht er kurz.
»Unser Lieblingssender sucht Stand-Up-Comedians für eine Show. Es gibt einen Qualifikationsmodus, ähnlich wie in Star Search. Zuerst das Casting, dann die Qualifikation und dann das Finale mit den Besten. Qualifikation und Finale werden ausgestrahlt. Der Finalsieger bekommt eine eigene Sitcom. Ich hoffe, du bist flexibel, denn der NRW-Cast ist heute. Genauer gesagt, in fünf Stunden.«
»Fünf Stunden.«
Er lacht kurz.
»Wir haben versucht dich zu erreichen. Hörst du eigentlich nie dein Handy ab?«
»Hat man mir geklaut«, sage ich, während ich mich versuche zu erinnern, wie hoch die Honorare früher für TV-Auftritte waren.
»Immer noch?«, lacht er. »Du bist wirklich der Einzige,den ich kenne, der keins hat. Wäre natürlich einfacher, Geschäfte zu machen, wenn man dich erreichen könnte.« »Ich kaufe mir morgen ein neues.«
»Ja, sicher, hör mal, unter uns ...« Er macht eine kleine Pause, um sicherzugehen, dass ich mitbekomme, wie wichtig seine folgende Aussage wird. »Ich werde ganz offen zu dir sein.«
»Danke schön.«
»Du bist ja so was wie unser Agenturmaskottchen, doch die Nachfrage hat in letzter Zeit drastisch nachgelassen. Wir sollten da was tun.«
Maskottchen.
»Verstehe«, sage ich und verkneife mir den Spruch, wie man im Gespräch bleiben soll, wenn man das halbe Jahr auf offener See vor Publikum im Wachkoma spielt. Aber vielleicht ist das kein Zufall. Ich wäre nicht der erste Künstler, den man in der Provinz parkt, um ihn loszuwerden.
»Also, dieses Casting heute ...«, fährt er fort und macht wieder eine Pause.
»Ich bin ganz Ohr«, versichere ich ihm.
»Einige hier sind der Meinung, dass wir eine Nummer zu groß für dich sind, andere glauben, du bist ausgebrannt. Sie sind halt ein bisschen enttäuscht von der Entwicklung in letzter Zeit. Es wäre nicht schlecht, wenn du es ihnen allen mal wieder richtig zeigen würdest. Du hast doch dein Programm noch drauf, ja?«
»Klar«, lüge ich und verkneife mir den nächsten Kommentar.
»Super«, sagt er und klingt wirklich erleichtert. »Ich hab’s ihnen ja gleich gesagt, der lustige Däne packt das, aber du weißt ja, wie die sind.«
Die. Ich bin kurz davor, mich zu übergeben. Aber er hat recht. Ein Zeichen des Erfolges könnte nicht schaden. Auf der Agenturhomepage stehen direkt neben den anderenKünstlern jeweils die letzten Auszeichnungen und die nächsten TV-Ausstrahlungen aufgelistet. Neben meinem Foto steht seit Jahren: Auf Tour .
»Bist du noch dran?«, fragt seine ölige Stimme aus dem Hörer.
»Sicher. Ich überlege nur, also, das mit der Nummer zu groß und ausgebrannt, das klingt ja irgendwie nicht so gut. Gibt es da vielleicht noch irgendwas, das ich wissen sollte? Es klingt ja ein bisschen wie ein Ultimatum.«
Es bleibt einen Moment
Weitere Kostenlose Bücher