Beziehungswaise Roman
klingt es, als würde ich von einer Horde kaputter Loks verfolgt werden. Nach weiteren fünfzig fehlt ihnen sogar die Puste, um mich zu beschimpfen. Schließlich bleibt mein Polizistenkumpel keuchend stehen und stützt sich auf seine Oberschenkel, und ohne ihn wollendie anderen auch nicht mehr so richtig. Ich bleibe in gebührendem Abstand stehen und winke ihnen zu, was einen Chor atemloser Beschimpfungen wachruft. Nichts als Arschloch, Pisser und Fresse polieren.
Als ihnen die Puste ausgeht, hebe ich Achtung heischend die Hand. Sie werden leise, um zu hören, was ich zu sagen habe.
»Ach, zieht doch nach Düsseldorf, ihr degenerierten Humorfaschisten ! «
Diesmal wollen sie es wirklich wissen. Sie folgen mir über eine ganze Fußballplatzlänge und einer sogar noch über die folgende Straße. Doch dann bleibt auch der Letzte stehen und hält sich die Seite. Sie schnaufen wie Walrösser, was sie allerdings nicht davon abhält, mich weiter zu beschimpfen. Ich gehe runter und mache Liegestütze.
Einer wirft eine Flasche. Sie landet zwei Meter neben mir, ohne kaputtzugehen. Sie ist noch halb voll. Die müssen wirklich sauer sein. Ich drehe die Flasche um und lasse sie auslaufen. Sie beschimpfen mich weiter, aber irgendwie fehlt ihnen mittlerweile die Leidenschaft, und so ziehen sie schließlich, Drohungen murmelnd, zur Straße zurück. Der Ausdruck verletzter Würde auf ihren Gesichtern ist sehenswert. Ich winke noch mal, dann trabe ich weiter und fühle mich ein bisschen besser. Hm! Es stimmt also: Karneval kann Spaß machen, man muss sich einfach nur darauf einlassen.
Noch bevor die Jecken außer Sicht sind, ist das Hochgefühl wieder verflogen und wird durch Leere ersetzt. Ich habe das Gefühl, als hätte ich mein Mädchen im Stich gelassen. Und sie mich. Keine Wut, zu wenig Traurigkeit – es ist die richtige Entscheidung. Aber auch mit dieser Gewissheit fühle ich mich nicht besser. Es ist wie nach einer Operation. Erst ein notwendiger, schmerzhafter Eingriff. Dann Regeneration. Dann Gesundheit. Hoffe ich.
Kapitel 7
Frauke sitzt mit angezogenen Beinen auf der Couch und schnieft leise. In der Hand hält sie ein Taschentuch. Die Rauchwolke über ihr hat bedenkliche Ausmaße angenommen, und auf dem Bildschirm geht die Titanic unter, während die Musiker spielen. O Symbolik. Werde auch ich eines Tages an den Rettungsbooten Witze erzählen, während das Clubschiff sinkt und der Erste Maat panische Rentner abknallt?
Frauke zieht wieder die Nase hoch. Ich kann mich gerade noch bremsen, bevor ich ihr die großen Neuigkeiten verrate. Wenn ich ihr das jetzt erzähle, stehe ich morgen noch hier. Als Frauke damals mitbekam, dass ich eine Affäre hatte und damit meine Beziehung mit Tess gefährdete, nahm sie es so persönlich, dass ich das Gefühl hatte, sie selbst betrogen zu haben. Sie redete eine Woche nicht mit mir und verließ den Raum, wenn ich hineinkam. Was tut sie, wenn sie das hier erfährt?
Nachdem ich geduscht, Koffer ausgepackt, Bettwäsche gewechselt, das Bad geputzt und mir einen Espresso gemacht habe, gehe ich ins Arbeitszimmer. Ich schlürfe aus der heißen Tasse und schaue aus dem Fenster in den kargen Garten. Der Baum ist kahl. Keine Blumen. Kein Gras. So in sechs, acht Wochen wird es wieder blühen. Nach dem Winter kommt der Frühling, und dann ist das Leben auch für Singles schön. Gott, Single. Wie geht das noch mal? Rumficken und frei fühlen? Isolieren und vereinsamen?
Die Nächste suchen? Der Letzten nachweinen? Wieso zur Hölle bin ich kein bisschen erleichtert?
Ich nehme den Hörer und rufe Tess an. Mailbox. Ich zögere einen Augenblick, dann hinterlasse ich ihr eine Nachricht. Dass ich an sie denke. Sie liebe. Mich freue, sie wiederzusehen. Hoffe, dass es am Wochenende klappt. Worte wie immer. Bedeutung wie nie. Ich lege auf. O.k. Weitermachen. Los.
Mein Blick bleibt an den Rechnungen hängen. Um den Anruf noch etwas hinauszuzögern, gehe ich sie durch. Ein weiterer Krisenherd, der auf Entscheidungen wartet, denn ich habe den Fehler gemacht, den so viele machen: Wenn man gewisse Einnahmen hat, kommen sofort eine Menge Leute angerannt und erklären, dass man unbedingt Steuern sparen muss, also kauft man auf Kredit und spart ein paar Steuern, doch gleichzeitig verpflicht man sich, jedes Jahr so viel zu verdienen wie in dem Rekordjahr – und schwups: In dem einen Moment hast du Einnahmen, die dir auf Jahre hinaus ein Sicherheits- und Freiheitsgefühl geben könnten, im nächsten hast du
Weitere Kostenlose Bücher