Bianca Arztroman Band 0011
sie.
“Ich kann mich einfach nicht darüber hinwegsetzen. Niemand kann es mir nachfühlen, was ich empfinde. Oder hast du eine Vorstellung davon, was in einem Mann vorgeht, der weiß, dass er so hilflos ist wie ein neugeborenes Baby?”
“Nein, das habe ich nicht. Warum sagst du es mir dann nicht, Nick? Alles, was ich will, ist dir zu helfen, so gut ich es kann.”
“Aber warum? Warum plagst du dich mit mir herum, wenn ich dich doch nur immer wieder wegstoße?” Reue und Traurigkeit lagen in seiner Stimme, als er sie verzweifelt ansah.
“Vielleicht strebe ich ja nach einem Heiligenschein?”, fragte Abbie lachend. Sie wusste instinktiv, dass es besser war, die Dinge humorvoll zu nehmen. “Vielleicht bin ich ja auch nur süchtig nach Strafen.”
“Bitte sag so etwas nicht! Es liegt bestimmt nicht in meiner Absicht, dich zu bestrafen. Wenn ich überhaupt jemanden bestrafe, dann mich selbst, weil ich es hasse, so zu sein, wie ich bin.”
“Aber das ist dumm von dir!” Abbie versuchte, ihn zu beruhigen, indem sie ihre Hände auf seine legte.
“Glaubst du? Ich möchte all die Dinge tun, die ich früher getan habe. Ich möchte spazieren gehen, in mein Auto steigen und einfach losfahren, ohne dass ich eine Aktion daraus machen muss. Ich möchte wieder der sein, der ich war, Abbie, und nicht so ein kaputtes Etwas, wie ich es jetzt bin.”
“Das verstehe ich, Nick. Aber es ist nicht möglich … noch nicht. Vielleicht später einmal. Ich weiß, dass es hart ist für dich. Und es ist nur natürlich, zurückzublicken und in Wenn ich doch …-Sätzen zu denken, aber das ändert nichts an der Situation. Als Megan starb, ging es mir genauso. Ich musste dauernd darüber nachdenken, was anders hätte laufen können, wenn ich dies oder jenes getan hätte.”
“Was ist denn mit Megan geschehen, Abbie?”, fragte Nick.
“Sie starb den plötzlichen Kindstod. Ich habe sie abends ins Bett gelegt, und als ich am nächsten Morgen in ihr Zimmer trat, war sie tot.”
“Das muss ja ein furchtbares Erlebnis für dich gewesen sein!”
“Ja, das war es. Monatelang habe ich über die letzten Tage ihres Lebens gegrübelt und versucht, mich zu erinnern, ob es irgendwelche Warnzeichen gegeben hat. Aber es gab keine. Megan war munter und vergnügt, als ich sie ins Bett brachte. Sie ist einfach nicht wieder aufgewacht. Ich vermisse sie so sehr, Nick, auch heute noch.”
Abbie flossen die Tränen über die Wangen, und sie versuchte, ihre Hände wegzuziehen und aufzustehen, aber Nick hielt sie fest. “Ich wünschte, ich könnte etwas tun oder etwas Tröstendes sagen”, flüsterte er.
Sie schüttelte den Kopf. “Es gibt nichts, was du tun könntest. Noch Wochen, nachdem Megan gestorben war, bin ich in ihr Zimmer gegangen und habe mich an ihr Bett gestellt. Ich habe die Augen geschlossen und diesen warmen Babyduft eingesogen, der noch immer in ihrem Zimmer hing, und dabei habe ich mir vorgestellt, dass sie noch da wäre und alles nur ein böser Traum gewesen ist.”
Ihre Stimme war so leise, dass sie kaum zu verstehen war. Nick zog sie zu sich herunter und legte die Arme um sie. Abbie war sich gar nicht bewusst, dass sie immer noch weinte, sie merkte es erst, als sein Pyjama feucht wurde. Nick hielt sie umfangen und presste seine Wange in ihr Haar. Erst jetzt nahm sie wahr, dass auch er weinte.
“Nick, was hast du?”, fragte sie.
“Ist dir klar, dass Megan mein Kind hätte sein können, wenn sich die Dinge damals anders entwickelt hätten?”
“Ja”, antwortete sie leise.
“Ach, Abbie, es tut mir leid, dass ich so viele schmerzliche Erinnerungen in dir wachgerufen habe.” Mit Mühe kämpfte Nick gegen die Übermacht der Gefühle an, und dem wollte Abbie ein Ende setzen. Sie stand auf und strich sich den Rock glatt.
“Mir tut es auch leid. Ich wollte meine Probleme nicht auf dir abladen, das musst du mir glauben.”
“Ich bin froh, dass du es getan hast.” Jetzt lächelte Nick wieder und ließ seine Blicke auf ihrem tränenfeuchten Gesicht ruhen. “Es tut gut, zu geben und zu empfangen. Dass du mir von Megan erzählt hast, hat dir vielleicht in gewisser Weise geholfen.”
“Ja, ich glaube schon.”
“Das freut mich. Freunde sind schließlich dafür da, dass man Freud und Leid mit ihnen teilt.”
“Das finde ich auch. Und jetzt spreche ich zu dir als Freundin, Nick. Versprich mir, dass du in Zukunft vernünftig mit deiner Krankheit und mit deinen Kräften umgehen wirst. Wie David mir erzählte, ist die
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