Bianca Arztroman Band 0031
aufzugeben und ihn vielleicht niemals wiederzusehen.
Keiner von ihnen sprach ein einziges Wort, während er das Auto sicher durch die engen Kurven lenkte. Sie saßen, jeder in seine Gedanken versunken, nebeneinander. Plötzlich und ohne Vorwarnung stieg Ethan in die Bremsen. Eine Sekunde später hatte auch Kate den Grund dafür entdeckt. Neben der Straße im Graben lag halb auf die Seite gekippt ein verunglückter Wagen.
“Bleiben Sie, wo Sie sind”, rief Ethan, “es könnte anfangen zu brennen. Ich will mir das erst einmal ansehen.”
Den Teufel werde ich, sagte sich Kate, stieg aus und lief neben ihm zu dem verbeulten Wrack. Der Fahrer, ein junger Mann von Ende zwanzig, schien nur leicht verletzt zu sein. Kate beugte sich über ihn und kontrollierte Mund und Nase.
“Die Atemwege sind frei”, stellte sie fest, “der Atem ist flach, aber ausreichend und regelmäßig.”
Der Verunglückte stöhnte. Ethan sprach ihn an: “Ich bin Arzt, und meine Begleiterin ist ausgebildete Krankenschwester. Können Sie uns Ihren Namen sagen?”
“Ian … Ian Berkeley.”
“Sind Sie Brite?”
“Ja. Hören Sie …”
“Wissen Sie, wo Sie sich befinden?”
“Wie bitte?!”
“Wissen Sie, wo Sie sind?”, wiederholte Ethan ruhig.
“Na, selbstverständlich!”, antwortete der junge Mann etwas ungehalten. “Ich bin in Österreich. Es mein erster Urlaubstag. Und ich stecke nach diesem verdammten Unfall in meinem Wagen fest.”
Ethan und Kate verständigten sich durch einen Blickwechsel. In jeder halbwegs normalen Situation wären Ethans Fragen natürlich albern gewesen. So gaben die Antworten aber die Gewähr dafür, dass sich der Verunglückte bei vollem Bewusstsein befand.
“Ich denke, das Bein ist gebrochen”, meinte Kate, während Ethan auf seinem Handy die ‘144’ wählte, um einen Rettungswagen zu rufen. “Darüber hinaus einige Schnittwunden im Gesicht, aber keine schweren.”
“Puls?”
Kate tastete danach und runzelte die Stirn.
“Stimmt etwas nicht?”, fragte Ethan sofort.
“Moment noch!”, Kate tastete erneut.
“Ich mische mich ja nur ungern ein”, meldete sich der junge Mann namens Ian Berkeley, “aber könnten Sie, anstatt an mir herumzufummeln, vielleicht etwas Nützliches tun, zum Beispiel mir hier herauszuhelfen?”
“Damit möchte ich lieber warten, bis die Sanitäter hier sind”, beruhigte ihn Ethan. “Sie bekommen dann eine Halskrause, damit Ihre Wirbelsäule heil bleibt.”
Kate machte eine kurze Kopfbewegung und trat ein paar Schritte beiseite. Ethan kam zu ihr. “Der Puls liegt bei über neunzig.”
“Das ist zu hoch bei dem, was man sieht”, sagte Ethan sofort. “Er muss innere Verletzungen haben. Der Körper schüttet Endorphine aus, deshalb spürt er auch keine Schmerzen.” Er eilte zum Verunglückten zurück.
“Darf ich noch mal einen gründlicheren Blick auf Sie werfen, Ian?”
“Tun Sie sich keinen Zwang an”, antwortete der. “Ich habe im Augenblick sowieso nichts weiter vor.”
“Was machen Sie beruflich, Ian?”, fragte Kate, um ihn, während Ethan in abtastete, abzulenken.
“Ich bin Lehrer.”
“Gibt es jemanden, den wir benachrichtigen können, Familie oder Freunde?” Während Kate weiter fragte, bemerkte sie, dass Ethan die Brauen zusammenzog, als er mit seiner Untersuchung in der Magengegend angekommen war.
“Mit Familie kann ich nicht dienen”, antwortete Ian Berkely. “In der Schule müsste jemand Bescheid sagen, dass ich nächste Woche vermutlich nicht zur Arbeit zurück bin.”
Es dauerte glücklicherweise nicht lange, bis sie die Sirene des Rettungswagens hörten. Jedoch war die Erleichterung nur von kurzer Dauer. Ethan schilderte dem jungen Notarzt und den Sanitätern auf Deutsch kurz die Situation. Der Verletzte wurde vorsichtig geborgen und in den Rettungswagen gelegt. Während das geschah, hörte Kate dem Wortwechsel zu, den Ethan und der Notarzt hatten. Sie brauchte kein Deutsch zu verstehen, um zu begreifen, dass es Meinungsverschiedenheiten gab und Ethan aufgebracht war.
“Was ist los?”, fragte sie ihn.
“Sie wollen ihn nach Salzburg in die Klinik fahren”, antwortete Ethan zornig. “Der Mann hat wahrscheinlich ein Abdominalaneurysma. Ich hab jedenfalls nach dem Abtasten den starken Verdacht. Soweit sich das hier feststellen lässt, besteht die Gefahr eines Durchbruchs.”
“Das heißt …”
“… dass, so gesehen, der Unfall ihm vielleicht das Leben retten könnte. Wenn er damit noch länger herumgelaufen
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