BIANCA EXKLUSIV Band 0174
hatten, um morgens so weit vorne wie möglich zu stehen.
Heute waren es einfach zu viele. Wieder würden einige mit leeren Händen gehen müssen. Es brach Dani beinahe das Herz.
„Kennst du das Mädchen?“, fragte Madeline.
Dani folgte ihrem Blick und sah einen mageren Teenager mit strähnigem blondem Haar, der außerhalb des Gitters stand.
„Nein.“
„Sie war vor ein paar Tagen schon mal hier, aber Jonas hat sie weggeschickt, weil sie keinen Berechtigungsschein hatte.“
„Wieso bin ich nicht informiert worden? Ich hätte das doch arrangieren können …“
„Sie verschwand, bevor wir dich erreichen konnten“, sagte Madeline. „Ich glaube, sie ist von zu Hause weggelaufen.“
„Hm“, Dani betrachtete das Mädchen in seiner zerrissenen Kleidung, „ich werde mal mit ihr reden.“
„Sie kommt nicht herein“, warnte Madeline, „hat neulich einen der Packer mit einem Messer bedroht.“
„Das heißt nur, sie ist schon so lange auf der Straße, dass sie schon völlig verängstigt und misstrauisch ist.“
Dani stellte gegen die Kälte den Kragen hoch und ging die Treppe hinunter. Sie erreichte gerade den Verteilungsplatz, als die Lonnigans mit ihrer kostbaren Lebensmittellast auf den Parkplatz kamen. Der magere Teenager schaute sich um und folgte ihnen.
Dani ging schneller, aber noch bevor sie den Ausgang erreicht hatte, hatte sich das Mädchen einen Laib Brot aus dem Karton der Lonnigans geschnappt, rannte über den Parkplatz und kletterte über den Zaun. Einer der Lonnigan-Jungen verfolgte sie, wurde aber vom Vater zurückgerufen. Die Familie stieg in den alten Wagen und fuhr davon.
Dani hatte nicht gehört, was Frank Lonnigan gesagt hatte, vermutlich das, was ihr eigener Vater gesagt hätte. Er hätte seine Kinder daran erinnert, dass jemand, der Essen stahl, es noch dringender brauchte als sie. Das Mädchen war offensichtlich in großer Not.
„Sie kommt wieder“, meinte Madeline zu Dani.
„Ich weiß, aber das heißt, dass sie noch eine Nacht auf der Straße schlafen muss.“
Madeline zuckte mit den Schultern. „Man kann nicht alle retten, Dani, sei dankbar, dass wir einigen helfen konnten.“
„Was heißt hier ‚konnten‘?“
„Es geht das Gerücht, dass die Obdachlosentafel geschlossen wird. Deshalb sind die Leute auch so wild hinterher, noch ein paar Vorräte zu ergattern.“
Dani deprimierte diese Nachricht. „Wir schließen nicht“, sagte sie entschlossen. „In letzter Zeit war es ziemlich eng, aber nächste Woche ist der vierteljährliche Zuschuss von der Stadt fällig.“
„Hast du heute schon die Post durchgesehen?“
„Nein, wieso?“
„Der Behördenausschuss teilt mit, dass diese Woche über die Schließung der Obdachlosentafel debattiert wird.“ Madeline hatte Tränen in den Augen. „Damit ist es wohl vorbei, Dani.“
„Ich bin Colby Sinclair, Ms. Glickman, wir haben miteinander telefoniert.“
„Natürlich, Mr. Sinclair, und das muss Klein Megan sein.“ Lächelnd breitete die kleine Frau die Arme aus. „Komm her, Liebling, ich werde dich mit deinen Spielkameraden bekannt machen.“
Megan, auf Colbys Arm, klammerte sich am Hemd ihres Onkels fest und barg das Gesicht an seinem Hals.
Die Frau lachte. Sie standen auf einer frisch gestrichenen, mit Gänsen und Häschen dekorierten Veranda. „Ah, eine kleine Schüchterne, wie? Na, das werden wir bald haben, damit kommt sie in der Happy-Home-Tageskrippe nicht weit.“
Colby hielt das Kind beschützend auf dem Arm. „Ich würde mir gern erst mal das Haus ansehen.“
„Ja, natürlich“, sagte sie lächelnd. „Ich weiß, wie schwer der erste Tag sein kann, aber ich glaube, Sie und ich und meine Mitarbeiter werden unser Bestes tun, um es für Sie und Ihre zauberhafte Nichte so schmerzlos wie möglich zu machen.“ Sie trat zur Seite und hielt die Fliegengittertür auf. „Kommen Sie herein.“
Colby betrat einen langen Flur, in dem an vielen Haken kleine Jacken, Pullover und andere Kindersachen hingen. Dazwischen befanden sich bemalte Kästen für Schuhe, Spielzeug und Essensbehälter. Zur Linken hörte man Kindergeschrei, das aus einem großen Raum tönte und Megan veranlasste, sich mit ihren kleinen Fingern fester an ihren Onkel zu klammern.
„Hier ist die Garderobe“, erklärte Ms. Glickman, die gegen den Lärm ihre Stimme erhob. „Jedes Kind hat seinen Haken und sein Kästchen für persönliche Dinge. Wie Sie sehen, bringen manche ihr eigenes Mittagessen mit, aber die meisten nehmen an
Weitere Kostenlose Bücher