Bianca Exklusiv Band 0226
fragen, ob Sie eigentlich nach Henderson wollen.“
„Ja.“
„Bleiben Sie lange?“
„Nur ein paar Tage.“
„Oh.“ Nach einigen weiteren vergeblichen Versuchen, ein Gespräch zu beginnen, verfiel sie wieder in Schweigen.
Einige Meilen später fiel ihm auf, dass sie übermüdet wirkte. „Soll ich ein Stück fahren?“
Das Angebot überraschte Olivia. „Danke. Ich könnte eine Pause gebrauchen“, nahm sie erfreut an.
Sie tauschten die Plätze, und er stellte den Sitz für seine langen Beine zurück. Sie nahm eine Decke vom Rücksitz und wickelte sie um ihre Schultern. Ihre Augen brannten, und doch konnte sie nicht schlafen.
Ihr graute davor, allein nach Hause zurückzukehren. „Stone’s End“ würde ihr leer erscheinen, obwohl oder gerade, weil es von bittersüßen Erinnerungen an Ira erfüllt war.
Im Laufe der vergangenen vier Jahre hatte sie ihn ins Herz geschlossen und geglaubt, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch dann hatte er dieses Testament hinterlassen, und nun war sie sich da nicht mehr so sicher.
Warum war die Liebe stets an Bedingungen geknüpft? Warum war sie selbst nie genug?
An diesem Vormittag hatte sie einen Anwalt konsultiert, der die Situation als „unangenehm“ bezeichnet hatte. So als wäre die Erfüllung der Testamentsklausel ein Kinderspiel, ein kleiner Spaziergang zum Altar mit einem vernarrten Bräutigam.
Doch es war kein Bräutigam in Sicht, vernarrt oder nicht. Und sie hatte guten Grund, die Ehe zu meiden. Ihre Eltern hatten sich vor ihrer Geburt scheiden lassen. Von den anderen Ehen ihrer Mutter hatte sich nur die mit Mike DeAngelis als einigermaßen stabil erwiesen, hatte jedoch auch nicht lange gehalten. Er hatte Olivia als Zehnjährige adoptiert und ihr zum ersten Mal im Leben ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Aus Loyalität benutzte sie weiterhin seinen Namen.
Sie unterdrückte ein Gähnen und bereute, dass sie nicht über Nacht in Bangor geblieben war. Erst vor Stunden hatte sie ihren Bruder Jared, seine Frau und deren vier Kinder am Flughafen verabschiedet. Aufgrund seiner tierärztlichen Forschungen war ihm eine Dozentur über wild lebende Tiere an der Universität von Cornell übertragen worden, sodass er erst Mitte Dezember zurückkehren würde.
Olivia vermisste die Familie bereits. Vor seiner Abreise hatte Jared sie davor gewarnt, etwas Überstürztes zu tun, um den Letzten Willen ihres Vaters zu erfüllen. Sie hatte es ihm versprochen. Nun warf sie einen schuldbewussten Blick zu ihrem Begleiter und fragte sich, ob er wohl in die Kategorie „etwas Überstürztes“ gehörte.
Unbehaglich wand sie sich auf ihrem Sitz und starrte aus dem Fenster auf die vorüberziehende Nacht. Das Laub war bereits gefärbt, und einige nackte Äste kündeten das Ende des Herbstes und den kommenden Winter an. Auf den ersten Blick hatte sie sich in die unverdorbene Schönheit von Maine verliebt. Wie „Stone’s End“, lag ihr die Landschaft im Blut. Doch sie versuchte, die Stärke ihrer Gefühle zu leugnen. Ihrer Erfahrung nach führte es stets zu Kummer, etwas oder jemanden zu weit ins Herz zu lassen.
Nun schloss sie entschieden ihren Begleiter aus, lehnte den Kopf zurück und machte die Augen zu.
Einige Zeit später, als der Wagen anhielt, setzte sie sich abrupt auf. „Sind wir zu Hause?“ Ein Blick in Drews grimmige Miene verriet ihr, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Leider nicht. Das Auto streikt wieder.“
„Aber Sie haben es doch repariert.“
„Nur notdürftig. Sie brauchen wahrscheinlich eine neue Lichtmaschine.“
„Und wo können wir eine besorgen?“ Sie blickte aus dem Fenster. Ringsumher war alles finster. „Wo sind wir überhaupt?“
„Wir sind gerade durch Stillwater gekommen.“
Olivia erschauerte. „Dann sind wir ja noch Meilen von Henderson entfernt.“
Er nickte grimmig. „Ich kenne ein Sommerhaus in der Nähe.“
Bestürzt blickte sie ihn an. „Halten Sie es für klug, im Dunkeln durch den Wald zu wandern?“
„Früher war mal ein Pfad vorhanden. Vielleicht ist er etwas überwuchert, aber ich bin sicher, dass ich ihn finde.“
Der Wald sah dicht und düster aus. Obwohl ihr Auto sie im Stich gelassen hatte, klammerte sie sich an die vertraute Sicherheit. „Sollten wir nicht lieber hierbleiben und auf Hilfe warten?“
„Ich habe seit über einer Stunde kein anderes Auto auf dieser Straße gesehen. Also können Sie vergessen, dass jemand uns zu Hilfe kommt. Somit bleiben uns nur zwei Möglichkeiten.“
„Welche
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