Bianca Exklusiv Band 11
„Trotzdem gibt es auch bei uns die harte Wirklichkeit. Die Menschen hier leben, sterben, streiten, hassen und lieben genau wie in der übrigen Welt." Er nahm seine Mütze ab und warf sie auf den Sitz, um sich den Fahrtwind um den Kopf wehen zu lassen,
Lucy betrachtete sein markantes Profil und musste sich eingestehen, dass der Mann blendend aussah.
„Und Sie?" fuhr er sanfter fort. „Treffen Sie sich mit Ihrem Liebsten, oder sind Sie auf der Suche nach einem?"
Das unbeabsichtigte Kompliment schmeichelte Lucy. Der Fremde betrachtete es offenbar als ganz selbstverständlich, dass die Männer sich für sie interessierten. Dabei hatte Lucy noch nie eine engere Beziehung gehabt. Wenn die Männer feststellten, dass ein ganzes Seniorenheim mit zehn Bewohnern an ihr hing, zogen sie sich geschickt wieder zurück. Kein Mann war bereit, diese Verantwortung mit zu übernehmen.
Der Zauber des Augenblicks war verflogen. „Sehe ich so aus, als machte ich Urlaub, um mir einen Mann zu angeln?" fragte sie.
Der Fremde betrachtete sie erneut. „Nein. Im Gegenteil, wenn ich Sie so ansehe, würde ich eher sagen: zu schön, um wahr zu sein. Sie wirken wie ein Engel, der vom Himmel gefallen und in Sonnenstrahlen gehüllt ist. Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?"
Lucy brauchte einen Augenblick, um diese Schmeichelei zu verdauen. Die italienischen Bootsmänner schienen sehr romantisch zu sein. „Schießen Sie los."
„Ist das Ihre natürliche Haarfarbe?"
Lucy lächelte amüsiert. „Also, niemand, der bei klarem Verstand ist, würde sein Haar wohl orange färben."
„Orange?"
„Karottenrot. Fuchsrot." Lucy hatte nicht vergessen, mit welchen Bezeichnungen sie als Kind in der Schule aufgezogen worden war.
„Bernstein", erklärte der Fremde bestimmt. „Die alten Griechen nannten es ‚elektron'. Es wirkt magnetisch, besonders, wenn man darüber streicht."
Lucy merkte, dass er mit ihr flirtete, und schwieg.
„Es lockt ahnungslose Wesen in die Falle und hält sie für immer fest", setzte der Fremde hinzu und sah ihr dabei in die Augen.
Lucy konnte sich der Wirkung dieses Mannes nicht entziehen, obwohl sie dagegen ankämpfte. Seine Ausstrahlung verwirrte sie. Betont gleichmütig erwiderte sie: „Klingt gefährlich. Man sollte ihm besser aus dem Weg gehen."
„Gefahr kann erregend sein", gab der Fremde zu bedenken, „sehr erregend sogar."
„Sollten Sie nicht lieber aufpassen, wohin Sie steuern?" fragte Lucy.
„Ich dachte, das täte ich."
Das Lächeln des Fremden war gewinnend, und Lucy hätte es gern erwidert, aber es war nicht ihre Art, mit fremden Männern zu flirten. „Da irren Sie sich. Sie sind vom Kurs abgekommen."
Lucy gab vor, die Landschaft zu betrachten, und drehte sich absichtlich so, dass sie den Bootsmann nicht sehen konnte. Dennoch spürte sie, dass er sie weiter beobachtete. Sein Interesse verunsicherte sie. Nach einer Weile drehte sie sich um und erkundigte sich beiläufig: „Ist es noch weit bis Pescatori?"
Sie waren immer noch ein ganzes Stück von der Küste entfernt, und das Boot bewegte sich nur langsam. Ob es auf dem See eine Geschwindigkeitsbeschränkung gab?
Der Mann betrachtete Lucy mit einer Mischung aus Bewunderung und sinnlicher Herausforderung. Er gehörte zu den Männern, die sich ihrer Wirkung auf Frauen bewusst waren und nicht zögerten, sie auszunutzen. Bei jedem anderen hätte Lucy eiskalt reagiert, aber irgendwie war dieser Fremde anders, und sie konnte sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen.
Sie räusperte sich. „Wie weit ist es noch bis Pescatori?"
„Die Insel ist nicht mehr weit", sagte der Fremde sanft. „Überzeugen Sie sich selbst."
„Insel?"
„Ja. Isola di Pescatori, die Fischerinsel. Dorthin wollten Sie doch, nicht wahr?"
„Sie meinen ..." Lucys Augen begannen zu leuchten. „Ich wusste nicht, dass es sich um eine Insel handelt. Ist es die mit den Häusern? Das wäre wundervoll!" Als der Bootsmann nickte, fuhr sie schwärmerisch fort: „Wie traumhaft, auf einer kleinen, verzauberten Insel zu wohnen ... mitten im See ..."
Lucy war so glücklich, dass sie ihre Begeisterung nicht in Worte fassen konnte. Sie war auf ein kleines Zimmer in einem billigen Hotel an einer lauten Straße gefasst gewesen. Wie lieb von Selina, ihr trotz aller Schwierigkeiten so eine idyllische Unterkunft zu besorgen! Lucy strahlte vor Freude.
„Hoffentlich entspricht Pescatori Ihren Erwartungen", sagte der Bootsmann. „Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen."
Lucy
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