Bianca Exklusiv Band 11
Rage. „Bringen Sie mich nach Pescatori", forderte sie.
Der Mann rührte sich nicht. „Warum sollte ich das tun?" fragte er gereizt.
„Weil ich müde, verschwitzt und hungrig bin und ein Bad nehmen und etwas essen möchte." Lucy blickte zu den anderen Wassertaxis. Vielleicht wäre es besser, auszusteigen und einen Bootsmann zu wecken, der sich entgegenkommender zeigte.
Als der Fremde nicht antwortete, wandte Lucy sich ihm wieder zu. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass er lächelte und sich sogar zu amüsieren schien. Sie wusste nicht recht, was sie von diesem merkwürdigen Italiener halten sollte, und betrachtete ihn misstrauisch.
„Verzeihen Sie mir", meinte er leise und deutete eine Verbeugung an. „Ich muss dem Motor noch ein bisschen gut zureden, dann stehe ich zu Ihren Diensten."
Er deutete auf den Ledersitz hinter Lucy, und sie nahm vorsichtig zwischen den bunten Kissen Platz, die darauf verstreut lagen. Ohne ein weiteres Wort holte der Mann ihren Koffer und machte sich am Instrumentenbrett zu schaffen.
Lucy war besänftigt, obwohl sie ein Unbehagen verspürte, das sie sich nicht erklären konnte. Doch sie verdrängte dieses Gefühl rasch und überlegte angestrengt, wie sie die nächsten Stunden am besten nutzen konnte. Wahrscheinlich musste Selina arbeiten und würde sich erst am Abend mit ihr im Hotel treffen können ...
Lucys Blick blieb auf den gebräunten Armen des Bootsmannes haften, und sie beobachtete fasziniert das Spiel seiner Muskeln. Er stand mit gespreizten Beinen da, um das Gleichgewicht zu halten, und arbeitete konzentriert. Lucy war so in seinen Anblick vertieft, dass ihr das Blut ins Gesicht schoss, als ihr bewusst wurde, dass der Fremde sich umgedreht hatte und sie nun seinerseits von Kopf bis Fuß musterte.
Sie dachte an ihre billigen Sandaletten und das Kleid, das zwar praktisch, aber wenig elegant war. Ihre Verlegenheit wuchs, als der Blick des Mannes auf ihren Brüsten verweilte.
„Ich kann die Fahrt bezahlen", erklärte sie würdevoll.
Der Fremde betrachtete ihre schmalen Hände mit den kurzen, unlackierten Nägeln und ihr energisches Kinn. Es gab nichts an ihr, dessen sie sich schämen musste.
„Die Überfahrt kostet nichts", sagte er unerwartet.
„Ich will nichts geschenkt haben und bezahle Sie selbstverständlich." Lucy warf stolz den Kopf zurück, dabei gab das Band unter dem Gewicht ihres Haares nach, und die rotschimmernden Strähnen fielen ihr offen auf die Schultern.
„Es wird Zeit, dass wir ablegen", bemerkte der Mann mehr zu sich selbst als zu Lucy.
Mit geübtem Griff raffte Lucy ihr Haar zusammen und band es wieder zurück, während der Mann das Boot aus dem Hafen steuerte. Er hatte eine Hand in die Hosentasche geschoben und stand so, dass er Lucy halb zugewandt war. „Das habe ich noch nie gemacht", gestand er.
„So?" Eine Welle des Mitgefühls durchströmte Lucy, und sie lächelte verständnisvoll. „Es ist das erste Mal für Sie?"
„Das erste Mal", bestätigte der Mann feierlich und beschleunigte das Tempo, so dass sie schaumgekrönte Wellen hinter sich zurückließen.
Lucy lehnte sich gegen die Kissen, und jetzt fiel ihr auch auf, dass das Boot neu war. „Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg", meinte sie impulsiv.
Der Mann lächelte und ließ dabei blendend weiße Zähne sehen. „Danke. Auch ich wünsche Ihnen viel Glück."
Lucy seufzte. „Ich kann's gebrauchen."
Der Fremde sah sie forschend an. „Eine junge Frau wie Sie dürfte eigentlich keine Sorgen haben."
„Ich wünschte, es wäre so", sagte Lucy ernst.
Der Mann schob seine Schirmmütze zurück, und dichte schwarze Locken wurden sichtbar. „Pescatori wird Sie Ihre Sorgen vergessen lassen", versprach er.
Lucy blickte sich versonnen um. Vom Ort aus musste man einen überwältigenden Blick auf die Inseln haben. Sie wirkten so friedlich und verträumt, dass es einem hier nicht schwer fallen durfte, seine Probleme zu vergessen.
Lucy spürte, dass der Bootsmann sie beobachtete. „Wunderschön", sagte er leise.
„Ja, das kann man wohl sagen", erwiderte Lucy. „Und ich wusste nicht einmal, dass es sie gibt."
„Sie meinen die Inseln?" Der Mann lächelte. „Sie wussten nichts von unseren Inseln?"
Lucy blickte auf die lang gezogene Insel mit den vielen Häusern. In ihrer Mitte ragte der hohe, spitze Turm einer Kirche in den klaren blauen Himmel. „Nicht das Geringste", gestand sie. „Mir kommt das alles wie eine Märchenwelt vor."
Der Mann lächelte zynisch.
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