Bianca Exklusiv Band 232 (German Edition)
eine offene Lederweste trug, betrachtete aufmerksam die Billardkugeln am ersten Tisch. Am zweiten Tisch spielte gerade ein Mann. Er hatte seine langen Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ungefähr sechs Männer standen herum. Einige hatten Billardstöcke, Queues, in der Hand, andere schauten nur zu. Sara trat näher, um den Mann in Augenschein zu nehmen, nach dem sie so lange gesucht hatte.
Graham Kincaid sah überhaupt nicht wie eine Legende aus. Zugegeben, er war groß. Mindestens ein Meter neunzig, mit schmalen Hüften und breiten Schultern. Aber solche Männer gab es viele. Als er sich vorbeugte, um sein Spiel zu machen, fiel Sara gegen ihren Willen auf, wie knackig sein Po in den schwarzen verwaschenen Jeans war.
Als er den Kopf zur Seite legte, fiel ihm eine schwarze Locke in die Stirn. Er hatte ein gut geschnittenes, markantes Gesicht mit einem eigenwilligen Kinn. Offenbar hatte er sich einige Tage nicht rasiert. Obwohl sie die Farbe seiner Augen nicht erkennen konnte, hätte sie wetten können, dass sein Blick kalt und abschätzend war.
Ungeduldig trat sie einen Schritt vor und wartete darauf, dass er endlich spielte. Wenn er in diesem Schneckentempo so weitermachte, musste es Stunden dauern, bis die Partie zu Ende war. Die Männer, die ihm zusahen, blieben gelassen und rührten sich nicht. Warum brachten sie Kincaid nur so viel Respekt entgegen? Hatte er sich als Billardspieler einen guten Ruf erworben, oder war es seine Arbeit, die ihm so viel Anerkennung einbrachte?
Sara wusste, dass Graham Kincaid einige Jahre lang FBI-Agent gewesen war, dann in Phoenix die Mordkommission und schließlich für ganz Arizona die Sonderabteilung für vermisste Personen geleitet hatte. Sie hatte auch herausgefunden, dass er sich beurlauben ließ, weil irgendetwas passiert war. Aber niemand hatte ihr sagen wollen, worum genau es sich gehandelt hatte. Was immer es war, sie konnte nur hoffen, dass Kincaid die Sache überwunden hatte und wieder Lust verspürte, zu arbeiten. Er war ihre letzte Chance.
Schließlich beugte er sich vor, brachte seinen Queue in Position und wartete dann erneut regungslos ab. Jetzt reicht es, dachte Sara und ging auf ihn zu.
„Sind Sie Graham Kincaid?“, fragte sie laut genug, um die Musik übertönen zu können, und zwar genau in dem Moment, in dem er zustieß. Die Bälle schossen über den Tisch, keiner ging in das Loch.
Er richtete sich langsam auf und wandte sich Sara zu. „Wegen Ihnen habe ich diesen Stoß verdorben“, erklärte er verärgert.
„Entschuldigen Sie, aber ich muss unbedingt mit Ihnen reden.“
Sie hatte recht gehabt, seine Augen waren stahlgrau und kühl. Selten hatte ein Mann sie so kritisch angeschaut.
„So? Nun, ich habe aber keine Lust mit jemand zu reden, der noch nicht einmal den Anstand besitzt zu warten, bis ich zu Ende gespielt habe.“
Sara ließ sich nicht einschüchtern. „Ich sagte doch schon, dass es mir leidtut.“
„Ja. Und jetzt gehen Sie.“ Er nahm ein Stück Kreide auf und rieb damit die Spitze seines Queues ein.
Doch Sara ließ nicht locker. „Bitte, Mr Kincaid, ich brauche Ihre Hilfe.“ Sie vermied es, auf die Männer zu achten, die herumstanden und neugierig zuhörten. Gerade machte Kincaids Gegenspieler seinen Stoß und verpasste die Kugeln um Längen, wahrscheinlich, weil er viel zu beschäftigt war, das kleine Drama zu verfolgen, das sich ihm bot.
„Ich bin beurlaubt worden“, erklärte er, ohne sie anzuschauen.
Sara ließ sich nicht beirren. „Mein Name ist Sara Morgan. Es geht um einen vermissten Jungen. Sein Name ist Mike, und er ist zwölf Jahre alt.“
Ein Muskel zuckte in Grahams Gesicht. „Viele junge Leute werden vermisst.“
Sie trat noch einen Schritt näher an ihn heran. „Dieser hier ist etwas ganz Besonderes“, sagte sie mit weicherer Stimme.
„Sie sind alle etwas Besonderes“, erklärte er und lehnte sich vor, um den nächsten Stoß in Angriff zu nehmen.
Nein, so leicht würde sie sich nicht geschlagen geben! Entschlossen holte Sara ein Foto aus ihrer Handtasche und warf es auf den grünen Filz neben die weiße Kugel.
Obwohl er sich über das Verhalten der Frau ärgerte, warf Kincaid einen Blick auf das Foto. Es war das Porträt eines blonden Jungen mit unternehmungslustigen, blauen Augen. Die Augen erinnerten ihn an einen anderen Jungen, der ebenfalls vermisst gewesen war.
Er richtete sich auf und betrachtete die Frau, die ihn mit den gleichen blauen Augen wie die des Kindes auf dem
Weitere Kostenlose Bücher