Bianca Exklusiv Band 87
abschrecken statt überzeugen wollte.”
Lindas grüne Augen funkelten. „Im Gegenteil, es macht mich wütend. Ich sehe Großvater vor mir, wenn er mit der Zeitung in die Schlacht zog. Ich kann ihn regelrecht hören mit seinem schottischen Akzent - ,Linda, mein Mädchen, ein MacTavish rennt vor keinem Kampf weg!’”
Zum ersten Mal seit seinem Unfall hörte Linda ihren Bruder lachen. „Fast genau wie Großvater. Ich hab’ in der letzten Zeit oft an ihn denken müssen. Manchmal meine ich, sein Geist steht hinter mir und schaut mir über die Schulter.”
Linda seufzte. „Ich versteh’ immer noch nicht, warum du mich ausgesucht hast. Okay, deine Gründe gegen Trevor Messano sehe ich ein, aber ist denn da kein anderer aus der Belegschaft dem du vertrauen kannst - jemand, der besser qualifiziert ist als ich?”
Er schaute sie mit besorgten Augen an. „Wenn es nur darum ginge, die Zeitung routinemäßig weiterlaufen zu lassen - ja. Jake Tarson oder Patrick Hörne könnten das übernehmen. Aber Linda, es geht nicht nur darum. Der ‚Clarion’ hat sich in den letzten Monaten gerade über Wasser halten können. Zum Teil liegt es an dem, was hier in der Stadt vorgeht, und zum anderen - mir scheint nichts einfallen zu wollen, wie wir unsere Situation verbessern könnten. Du warst immer die Intelligentere in der Familie, Linda.”
„Roy…”
„Doch, das ist wahr. Ein Grund, weshalb ich damals zurückgekommen bin und Großvater bei der Zeitung geholfen habe, ist, dass ich nicht das Zeug hatte, mich anderswo durchzubeißen. Hier in der kleinen, verschlafenen Stadt war es sicher für mich. Als Großvater gestorben ist, habe ich einfach routinemäßig weitergemacht wie immer. Aber jetzt - mit dieser Geschichte - renne ich mir den Schädel ein. Ich hab’ einfach nicht genügend Grips, um damit umgehen zu können.”
„Und weshalb glaubst du, dass ich ihn habe?”
„Weil du der Kopf in der Familie bist! Du warst immer die Beste in der Schule, während ich so gerade durchgekommen bin. Du bist nach deinem Abschluss nach New York gegangen, hast einen großartigen Job bekommen, hast dich dann selbstständig gemacht. Du bist gewitzt und clever, hast Großstadt-Ideen. Unsere Methoden hier sind altmodisch und verstaubt. Du könntest frischen Wind in den ,Clarion’ bringen.”
„Roy, du erwartest eine ganze Menge von mir …”
Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. „Du warst doch immer meine große Schwester, oder? Mutter hat immer gesagt, dass du zuerst geboren wurdest. Also bist du älter als ich!”
Es stimmte - Linda war immer die Verantwortungsbewusstere, Reifere gewesen. Alte Erinnerungen blitzen auf - die schwache Gesundheit des Vaters, die Mutter, die sie großzog und gleichzeitig das Versicherungsbüro der Familie leitete. Linda wollte ihren Eltern unnötige Sorgen ersparen. Wie oft hatte sie Roy bei den Hausaufgaben geholfen, war mit ihm in letzter Minute Prüfungsfragen durchgegangen. In der Nacht, als er und seine Freunde betrunken den Garten der Nachbarn verwüstet hatten, hatte sie von ihrem Geld, das sie sich als Babysitter erarbeitet hatte, den Schaden heimlich bezahlt, damit es nicht zu einer Anzeige kam.
Dabei war Roy kein schlechter Kerl gewesen, nur sorglos und unbedacht. Sein unvergleichlicher Charme hatte ihm in vielen Situationen geholfen. Und wenn es hart auf hart kam, so half Linda Ihm aus der Patsche. Doch sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben. Als sie nach der Schule getrennte Wege gingen, machte sich Linda ständig Sorgen um ihn. Vom College flog er nach weniger als zwei Jahren. Deshalb war sie froh, als sie hörte, dass er nach Palmetto zurückging und in Großvaters Zeitung arbeitete. Auch die Hochzeit mit Frances war ein Glückstreffer für ihn. Sie war eine ausgeglichene junge Frau mit soliden Vorstellungen.
Und was man ihm auch immer vorhalten konnte, er war ein guter Vater und Ehemann. Jetzt steckte er wieder in Schwierigkeiten - in größeren als je zuvor. Und wieder wandte er sich Hilfe suchend an seine Schwester.
Linda seufzte laut. „Ich muss darüber nachdenken, Roy. Ich kann dir nicht sofort eine Antwort geben. Lass’ mich eine Nacht darüber schlafen, okay?”
„Klar, Schwesterherz. Ich will dich nicht unter Druck setzen. Ich musste nur mit dir darüber reden, bevor du dich dazu entschließt, nach New York zurückzufahren.”
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Versteh’ ich. Jetzt versuch’ dich auszuruhen. Frances kommt heute
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