Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
Italien, und sie schwoll zu einer gewaltigen Flut an, die binnen weniger Wochen ganze Landstriche unter sich begrub.
Niemand konnte später sagen, wie es begonnen hatte, und auch nicht genau, wo. Diese Bewegung hatte wohl von einigen lombardischen und toskanischen Städten ihren Ausgang genommen, vielleicht durch eine geheime Absprache des Minoritenordens. Fast gleichzeitig tauchten in den Städten Wander- und Bußprediger auf, die stimmgewaltig einen Gesinnungswandel forderten. Ihre Predigten waren mit Worten wie Reue, Buße, Umkehr und Verzeihung gespickt und manche von diesen Städten ergaben sich ganz dem Willen der oft fanatisch auftretenden Mönche. Das Volk ging auf |231| die Straßen, Bußprozessionen formierten sich wie von selber und verblendete Stadtväter ließen Gefängnisse öffnen und verbrannten vor aller Augen Schuldscheine.
Im Norden trat besonders ein Bruder Benedikt hervor. In Scharen zogen ihm die Menschen entgegen, hielten brennende Kerzen in ihren Händen und schwangen Friedensfahnen. Benedikt, von dem niemand wusste, woher er kam, trug einen langen verfilzten Bart, war in einen schwarzen, mit blutroten Kreuzen bemalten Mantel gehüllt und blies vor seinen Predigten in eine kleine Trompete. Da erklangen seltsame Misstöne, die aber so durchdringend waren, dass die ganze Stadt sie hörte. Seine Predigten enthielten nichts Besonderes – da war viel Gotteslob zu hören, auch Preis der Jungfrau Maria und der heiligen Märtyrer. Von Höllenstrafen war weniger die Rede, doch viel von himmlischer Herrlichkeit und Gotteslohn für die Guten.
Nicht selten klangen auch politische Töne an. So hielt Bruder Gerardo in Parma eine Lobrede auf den „frommen Kaiser“, während Bruder Giovanni ihn verdammte. Das tat er aber klugerweise nur in den guelfischen Städten Vicenza, Padua und Verona, wo er dann viel Beifall erhielt. Wenn auch im Süden keiner dieser berühmten Prediger auftrat, so drang doch ihre Botschaft dorthin.
In Melfi war es seltsamerweise Michele Scotus, der davon sprach. Der Hofastrologe des Kaisers war Anfang des Jahres schwer erkrankt, körperlich wie geistig. Fast schien es, als sei der geistige Verfall dem körperlichen vorausgegangen. Scotus begann in sonderbaren Bildern zu reden, verglich den Kaiser mit einer herrlich leuchtenden Öllampe und setzte dann hinzu:
„Aber wenn das Öl verbrannt ist – was geschieht dann?“
Don Tommaso sah ihn fragend an.
„Dann? Nun, jemand müsste Öl nachfüllen …“
Scotus lachte meckernd.
„Jemand? Aber wer? Füllt es Satan nach, brennt ein Höllenfeuer, füllt es Gott nach, strahlt ein himmlisches Licht.“
„Und wenn keiner es nachfüllt?“
„Dann herrscht Dunkelheit auf Erden.“
Je weiter der geistige und körperliche Niedergang des Astrologen fortschritt, desto häufiger verlangte er nach Don Tommaso. Der Kaplan traf ihn meistens liegend an, halb aufgerichtet, durch viele Kissen gestützt.
|232| „Kommt, kommt, setzt Euch näher zu mir.“
Don Tommaso rückte ein wenig heran. Sich zu widersetzen hätte er niemals gewagt, denn er wusste, wie nahe Don Michele dem Kaiser stand. Dieser zerfallende Körper dünstete einen Hauch von Verwesung aus, der Atem stank nach saurem Wein, von dem Scotus immer einen Becher in Reichweite stehen hatte. Dazu knabberte er trockenes Brot, denn geregelte Mahlzeiten lehnte er seit längerem ab.
War Tommaso nahe genug herangerückt, dann streckte Scotus seine dürre Klaue aus, packte ihn am Arm und hielt ihn, solange er redete, eisern fest. Was er sagte, klang nur noch selten klar und verständlich, wurde immer wirrer und zusammenhangloser. Doch war ein roter Faden erkennbar: Es ging um Biancas Verhältnis zum Kaiser. Scotus winkte ihn näher und Don Tommaso beugte sich schaudernd vor, hinein in den Dunst von Verwesung und saurem Wein. Dann hörte er die heisere, zischelnde Stimme.
„Ihr erstes Kind, Costanza, sollte etwas vortäuschen. Ja, ich habe die Zeichen erkannt, glaubt mir, sie sind untrüglich. Das Mädchen wird bald eine Krone tragen, aber das ist eine satanische List. Bianca wird ein zweites Kind gebären, bald oder später, und auch über diesem Knaben schwebt eine Krone, doch keine königliche oder kaiserliche, sondern die Höllenkrone. Anders als in der Apokalypse tritt er nicht mit sieben Häuptern und sieben Kronen auf, nein, er trägt nur die eine und täuscht damit die Menschen. Erst später – zu spät erkennen wir die Wahrheit: Der Antichrist hat die Weltherrschaft
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