Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
es viel schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Dem steht entgegen, dass von zehn Jerusalempilgern vielleicht einer zurückkam. Die anderen starben an irgendwelchen Krankheiten, nicht wenige fielen auf ihrer monatelangen Fahrt Piraten oder Wegelagerern in die Hände, ihre Schiffe konnten im Sturm untergehen oder an Klippen zerschellen. So betrachtet, sieht der Schuldspruch gleich anders aus, nicht wahr?“
Bianca nickte.
„Schön, dass du mir das alles erzählst,
nonno
. Von unserem Lehrer hätte ich es nicht so … so genau erfahren.“
Übrigens durfte nur Bianca ihn duzen; die Jungen mussten seit ihrem sechsten Lebensjahr die Höflichkeitsform benutzen.
Don Bartolomeo begann sich Sorgen zu machen, ob er seine erst siebenjährige Enkelin damit nicht überforderte. Aber sie hörte gespannt zu, während die jungen Herren zu gähnen begannen oder einwandten, dies sei alles lange, lange her, und es sei besser – so |33| Galvano –, nach vorne zu blicken. Dabei trug der Kerl den Namen eines Ritters der Tafelrunde: Gauvain!
Biancas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„Aber wie geht die
favola
dann weiter?“
Er drohte ihr mit dem Finger.
„Das Wort Märchen gefällt mir in diesem Zusammenhang nicht! Könntest es ruhig
storia
nennen …“
„Gut, also, wie geht die Geschichte weiter?“
Er blickte sie liebevoll an und meinte in ihrem Kindergesicht den Sohn und dessen Gemahlin vereinigt zu sehen.
„Ich glaube, dass du einmal eine schöne Frau wirst …“
Sie lächelte.
„Glaube, lieber
nonno
, ist ein Mangel an Wissen – deine Worte.“
Da musste auch er lachen.
„Da es sich um die Zukunft handelt, ist meine Wortwahl zu entschuldigen. Die Geschichte geht so weiter, dass Sir Lancelot sich von Cornwall – das ist eine Grafschaft im äußersten Südwesten von England – auf den Weg nach Süden, ins Heilige Land machen musste. Er wird mit einem Küstensegler die französische Westküste entlanggefahren sein, vermutlich bis Bordeaux, dem Hauptort von Aquitanien und seit Römerzeiten ein wichtiger Hafen. Er hätte sonst mit dem Schiff um die Iberische Halbinsel herumsegeln müssen – ein gewaltiger Zeitverlust. So ritt er von Bordeaux die Garonne entlang bis Narbonne und von dort in zwei Tagen nach Marseille, dem alten Massilia. Wieder mit einem Küstensegler wollte er von da bis Sizilien reisen, aber in Pisa – so unsere Familiengeschichte – erkrankte er schwer. Nun, er war ein adliger Herr, mit Geld und Dienerschaft, da brachten sie ihn ins Bürgerhospiz. Dort wie auch anderswo war es christlicher Brauch, dass Bürgerfrauen sich in der Pflege der Kranken abwechselten, um Gotteslohn. Eine dieser Damen – ihren Namen kennen wir nicht – brachte ihre Tochter ins Hospiz mit, damit die vielleicht Sechzehnjährige eine Vorstellung von Krankheit und Elend bekam, sozusagen eine pädagogische Maßnahme.“
„Gibt es das heute auch noch? Ich meine, dass vornehme Damen …“
„Heute haben Nonnen diese Dienste übernommen. Zurück zu Sir Lancelot. Langsam genas er wieder und kaum war er auf den Beinen, stattete er seiner Pflegerin einen Höflichkeitsbesuch ab, der |34| freilich mehr ihrer Tochter Julia galt. Irgendwie muss er Julias Eltern von seiner vornehmen Abstammung überzeugt haben, denn sie stimmten einer Heirat zu. Es heißt, da seien noch mehr Töchter gewesen und Lancelot habe auf eine Mitgift verzichtet. Natürlich sollte seine junge Frau mit ihm nach England gehen, wo er später seinen Platz an der Tafelrunde des Königs Artus wieder einnehmen musste. Aber da war der Schuldspruch und Lancelot hätte sein christliches Rittertum verleugnet, wäre er ihm nicht nachgekommen. Gleich nach der Hochzeitsnacht, äh, also unmittelbar nach der Trauung machte er sich auf den Weg. Wir wissen nicht, wie es ihm auf dieser gefahrvollen Reise ergangen ist, aber nach über einem Jahr kehrte er zurück. Da war sein Sohn schon einige Monate alt, doch Julia hatte die Geburt nicht überlebt. Sir Lancelot hatte wenig Zeit für Trauer, denn der Ruf des Königs Artus war hierhergedrungen; wegen eines bevorstehenden Krieges brauchte der König seine Lehensmänner im Land. So ließ Lancelot den Sohn bei den Großeltern, bat sie aber, ihn auf einen keltischen Namen zu taufen: Walwain – so hieß der Neffe seines Königs, die Bretonen sagen Gauvain. Dieser Name, mit dem bei uns unbekannten W, wurde hier in Galvanus abgeändert, denn damals sprach die kultivierte Welt noch Latein. Aus Lancelot wurde Lancia und als
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