Bibbeleskaes
hatten.
»Zu viel Riesling«, murmelte ich.
»Du musst nachsehen, was mit ihm los ist«, drängte Martha.
Martha sagte das mit der Selbstverständlichkeit von jemandem, dem auf der Stirn geschrieben stand, dass er dies auf keinen Fall selbst tun konnte. Und ich war noch zu schwach für jede Form des Widerstandes. Also raffte ich mein Leintuch zusammen und stolperte nach drauÃen über die StraÃe zu den Waschsteinen am Bach.
Im Gehen streifte mein Arm die Hängegeranien, die in den Blumenkästen am Bachgeländer wucherten. Deren Feuchtigkeit und die morgendliche Kühle spürte ich nicht. Schlaftrunken, liebesverwirrt und alkoholbenebelt kletterte ich zu den Waschsteinen hinunter und blickte auf den Mann, der da bäuchlings und reglos, das Gesicht vollständig im Wasser, im schmalen Aubach lag.
Ich sah sofort, dass der Riesling, egal wie viel der Mann davon getrunken hatte, nicht der Grund sein konnte, weshalb er im Bach gelandet war. Ich starrte auf das Loch in seinem Kopf, aus dem eine ekelige Mischung aus Hirnmasse, weiÃen Haaren, Blut und Knochen quoll. Die brutale Verletzung stand in merkwürdigem Gegensatz zu dem Wasser, das klar und rein, leise und behutsam, unbeeindruckt und kalt um den zerstörten Kopf herumfloss.
Das Messer in seinem Rücken bemerkte ich erst auf den zweiten Blick. Es steckte in der rechten Schulter, um die Einstichstelle herum zog sich ein kleiner roter Rand. Mehr war nicht zu sehen, eine regelrecht saubere Verletzung im Vergleich zu der am Kopf. Das Messer hatte einen schlanken schwarzen Holzgriff mit Stahlknauf und kam mir bekannt vor, denn genau so einen Stahlknauf hatte mein Ausbeinmesser. Eines aus der Solinger Schmiede, kein solitäres Stück, aber schon ein gutes Messer, eines, das sich nicht jeder leistete. Aber mein Ausbeinmesser lag in der Küche der Salle polyvalente in meiner Messertasche, oder etwa nicht?
Ich brauchte Gewissheit. Also zog ich mein Leintuch nach oben und kniete ich mich auf den Waschstein. Der Bach war höchstens zweieinhalb Meter breit. Als ich mich mit weit vorgestrecktem Oberkörper über den Rücken des alten Mannes beugte, rumorte mein Magen heftig, ich schluckte trocken und zwang mich, das Holz unterhalb des Stahlknaufs unter die Lupe zu nehmen. Ich entdeckte den kleinen Brandfleck schnell. Resultat der kurzen Bekanntschaft zwischen Holz und Gasflamme in der Küchenhektik der WeiÃen Lilie, wie ich mich erinnerte. Mit einem Schlag war ich hellwach, denn das Messer im Rücken des Toten war mein Ausbeinmesser. Tatsächlich meines.
»Des isch dâr Emile, Emile Murnier.«
Vor Schreck fiel ich beinahe ins Wasser. Ich raffte eilig das Leintuch über meinem Busen zusammen, bevor ich den Oberkörper zurückzog und mich umdrehte. Dort stand Pierre Mueller im Schlafanzug, hinter ihm tauchte Martha auf. Auf ihrem Nachthemd flatterten rosa Schmetterlinge, der Schlafanzug von Pierre war blau-grün kariert und falsch zugeknöpft. Was für banales Zeugs einem auffiel, nachdem man festgestellt hatte, dass das eigene Messer als Mordwerkzeug benutzt worden war!
»Wie heiÃt der Mann?«, flüsterte ich und stand auf.
Pierre wiederholte es. Ich hatte mich nicht verhört. Murnier. Der Nachname von Luc. Luc, den ich heute Nacht mit in mein Bett genommen hatte, Luc, der nicht da gewesen war, als Martha mich weckte. Luc, der verschwunden war, und mein Ausbeinmesser, das im Rücken eines Toten steckte. Verdammt viele unangenehme Neuigkeiten an einem frühen Sonntagmorgen.
»Du musst die Polizei rufen«, sagte Martha zu Pierre.
»Ich geh mich anziehen«, murmelte ich.
Ich wollte weg von dem Toten, weg von Martha, ich musste unbedingt allein sein. Es hatte mich nämlich schwer erwischt.
Dabei hatte ich mir nach der Ecki-Geschichte geschworen, das Schlachtfeld der Liebe nie mehr zu betreten. Nie kam man ungeschoren davon, jedes Mal neue Fallstricke, in denen man sich verhedderte, immer wieder zog man sich neue Verletzungen zu. Teuer bezahlte Momente des Glücks, letztendlich ein Elend!
Doch gestern Nacht war ich kampflos und mit wehenden Fahnen zu Luc übergelaufen. Dass ich das tun würde, hatte ich schon gewusst, als er mich in der Winstub Mueller zum ersten Mal ansah. Diese Augen! Herbstaugen, ganz viel Kastanie. Valse musette hatten wir miteinander getanzt. Eng aneinandergepresst, die FüÃe im Gleichschritt, der doppelte Herzschlag. Hände, die
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