Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bibbeleskaes

Bibbeleskaes

Titel: Bibbeleskaes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
Vom Netzwerk:
türkisches Kopftuch aus der Bahn.
    Nicht dass ein türkisches Kopftuch in dieser Gegend eine Seltenheit wäre! Kopftuchtragende Frauen prägen die Keupstraße seit Jahren genauso wie Orient-Pop und der Duft von Döner und Lahmacun. Teresa an meiner Seite, die diese Straße zum ersten Mal sah, zählte auf, dass es hier fünf Bäckereien, drei Elektrogeschäfte, fünf Juweliere, drei Reisebüros, zwei Patisserien, zwei große Restaurants, fünf Döner-Buden und sechs kleine Cafés, aber kein einziges Blumengeschäft gab.
    Â»Merkwürdig, findest du nicht?«, fragte sie. »Ob die keine Osterglocken auf den Wohnzimmertisch stellen? Oder mögen die Leut im heißen Orient Blumen aus Plastik eher als frische?«
    Während Teresa laut über die Beziehung zwischen Türken und Schnittblumen nachdachte, versuchte ich, so gemächlich wie bisher weiterzuschlendern. Auf der anderen Straßenseite verabschiedete sich das Mädchen mit dem Kopftuch von Cengiz Özal, indem sie seine Hand nahm und diese kurz an Mund und Stirn führte, so wie es Türken tun, die ihrem Gegenüber Ehre erweisen. Dann lief sie schnell in Richtung Holweider Straße. Sie hatte mich nicht gesehen. Auch Cengiz Özal, der noch vor seinem Schlüsseldienst stehen blieb, bemerkte mich nicht. Er grüßte zwei ältere, Gebetsketten schaukelnde Männer mit einem freundlichen »Merherba« und winkte lachend Helmut Haller zu, dem Leiter des Altenheims, der mit seinem Rennrad durch die Keupstraße zur Arbeit sauste.
    Am Clevischen Ring bremste quietschend die Linie vier. Ein Schwarm Schüler flog aus der Bahn, verteilte sich schubsend und lärmend in alle Richtungen. Die Nachhut bildeten zwei völlig verschleierte Frauen, die in der Gegend häufiger zu sehen sind als anderswo in Köln. Umgeben von hupenden Autofahrern überquerten Teresa und ich die verstopfte Kreuzung.
    Â»Ich hab in meinem Blumenladen keinen einzigen türkischen Kunden«, fuhr Teresa fort. »Gut, ‘s gibt halt bei uns im Schwarzwald nicht so viele Türken wie hier, eher Russen und Albaner. Aber im Supermarkt oder im Elektrogeschäft trifft man schon welche, nur Blumen kauft halt keiner …«
    Die Äste der Lindenbäume auf dem Spielplatz waren prall gefüllt mit zartgrünen Blatttrieben, noch eine Woche mildes Frühlingswetter, und sie würden im frischen Blätterkleid dastehen. Drei kleine Fußballer, die gern auf dem Platz vor dem Altenheim kickten, überholten uns lachend und fingen schon an, nach dem Ball zu treten, obwohl auf diesem Stück Straße noch reger Verkehr herrschte.
    Woher kannte das Mädchen mit dem Kopftuch Cengiz Özal? Musste sie ihrer Familie einen Gefallen tun? Die Kalays waren Kurden, im türkisch-syrischen Grenzgebiet beheimatet, und wenn ich die Andeutungen des Mädchens richtig verstanden hatte, waren mehrere Familienangehörige Mitglieder der PKK und etliche von ihnen immer wieder in Auseinandersetzungen mit türkischen Militärs und in Schmuggelgeschäfte verstrickt.
    Â»Hier ist es also!«, unterbrach Teresa meine Gedanken und betrachtete wohlwollend die frisch geweißte Fassade der Weißen Lilie. »Du solltest eine Klematis an der Seite hochziehen und sie an dem schmiedeeisernen Balkon herunterranken lassen. Auf den Fensterbänken Rosmarinbüsche in Zinkkästen, und im Sommer könntest du Kapuzinerkresse pflanzen! – Oh, und das Haus nebenan ist bestimmt noch mal hundert Jahre älter! Hier müssen wohlhabende Leute wohnen!«
    Ich nickte. Arbeitsame Protestanten hatten Mülheim einst groß und reich gemacht, Protestanten, die man im erzkatholischen Köln auf der linken Rheinseite nicht haben wollte, erzählte mir mein Nachbar, Herr Maus, immer wieder, wenn ich ihn zufällig auf der Straße traf. Jedes Mal musste ich mir eine neue Ausrede einfallen lassen, um nicht einem stundenlangen Vortrag über die Mülheimer Geschichte zuhören zu müssen.
    Â»Was hältst du von einem Kaffee?«, fragte ich.
    Teresa nickte, und ich schloss die Tür auf. Kalter Tabakgestank lag in der Luft, und ich öffnete die Fenster, während Teresa mit ihren schrundigen Gärtnerinnen-Händen über meinen alten lackierten Eichentisch fuhr. Wieder fing sie an zu zählen, diesmal die Stühle. Genau sechsunddreißig passten um die Tafel, bei mir mussten alle Gäste an

Weitere Kostenlose Bücher