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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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um.
    Chemda.
    Sie kam an den Tisch. Ihr Gesichtsausdruck war abwesend, undurchschaubar. Jake hielt sofort nach Verletzungsspuren Ausschau, aber sie schien unversehrt; nur ihre Augen wirkten verändert, ohne eine Spur von Vertrauen; sie waren klar, aber distanziert. Er ging um den Tisch herum und umarmte sie, und sie küsste ihn.
    Die Wachen hielten sich im Hintergrund. Tyrone und Sen standen auf der anderen Seite des Tischs und beobachteten das Wiedersehen. Sie wussten, dass Jake nichts tun konnte. Er war hier in seinem Schicksal gefangen. Er küsste Chemda noch einmal. Und fand die schmerzhafte Wahrheit bestätigt.
    Der Kuss war anders.
    »Chem?«
    Sie löste sich aus seiner Umarmung. »Es geht mir gut. Danke, dass du alles versucht hast, um mich zu retten. Tja. Was soll ich sagen?«
    Ihr Blick sagte: Ich liebe dich, aber ihre Worte waren besorgniserregend abgehackt.
    Was hatten sie mit ihr gemacht? Sie war unübersehbar verändert.
    Sie legte ihre Handfläche auf seine Brust und schüttelte den Kopf. Ein Zittern um ihre Mundwinkel verriet ihm, dass sie den Tränen nahe war. Sie schüttelte wieder den Kopf – als ob sie sich von ihm verabschieden wollte, es aber nicht über sich brächte.
    Alles, was sie sagte, war: »Es geht mir gut. Sie haben mich hier behalten. Aber sie wollten mich erst nach der Operation zu dir lassen.«
    »Dann weißt du also Bescheid? Du kennst die ganze Wahrheit?«
    Ihre dunklen Augen wichen seinem Blick aus, ihre Stimme war sehr leise, kaum mehr als ein Murmeln.
    »Über meinen Großvater, S-37, meine Familie, die Rolle, die er damals gespielt hat? Ja, ich weiß alles. Und über Sonisoy? Und Anlong Veng? Ja, alles. Aber was könnten wir jetzt noch machen? Es ist sowieso zu spät.«
    »Chem?«
    Sie hob den Blick, fand den seinen und sagte: »Wie wirkt es sich bei dir aus? Was empfindest du noch für mich, Jake? Nachdem sie es auch mit dir gemacht haben?«
    Er sah erst sie an, dann ließ er den Blick über die ihn umgebenden bedeutungslosen Berggipfel wandern, über die erbarmungslos jähen Schluchten. Und er wusste, er wollte nur eins: Sex – vielleicht mit Chemda, Chemda mit ihren festen, sehnsüchtigen Brüsten, aber vielleicht auch mit einem der süßen tibetischen Mädchen aus dem Dorf mit ihrem Apfelbäckchenlächeln.
    Aber Liebe empfand er nicht. Er wollte sie ficken. Aber er liebte sie nicht. Er liebte Chemda nicht mehr.
    So war es. Warum sollte er es leugnen? Er liebte sie schlicht und einfach nicht mehr, nicht auf diese besondere alberne Art. Nein. Sie war schön und sexy, und er hatte Lust, sie zu vögeln. Klar. Sie war eine tolle Frau, intelligent und moralisch integer, und er schätzte sie, er konnte sie sich als seine Ehefrau vorstellen, aber sie lieben? Vollkommen absurd.
    Er liebte sie nicht. Liebe war eine neurochemische Reaktion, eine Hormonstörung, eine List der Natur, um die Menschen dazu zu bringen, sich fortzupflanzen und sich dann mindestens achtzehn Monate lang mit einem plärrenden Balg herumzuschlagen, bis der Liebestrick auslief wie eine kostenlose Software mit zeitlicher Begrenzung. Liebe empfand er nicht, aber er schätzte und begehrte sie noch. Und sie waren Freunde.
    Jake lächelte freudig und küsste Chemda auf die Wange, und sie fragte ihn mit einem besorgten Blick: »
    Was haben sie mit dir gemacht, Jake? Erzähl schon. Wie fühlst du dich?«
    Sie hob ihre zarte Hand, und als sie ihn oben am Kopf berührte, spürte er einen stechenden Schmerz, als ob er eine Spritze bekäme.
    Reflexartig schoss seine Hand nach oben, an seinen Kopf, an die Narbe. Eine Narbe? Er hatte eine Narbe am Kopf.
    Sie war noch ganz frisch. Oben an seiner Stirn.

44
    D ie Wachen nahmen ihn in die Zange. Sie zwangen ihn, sich zu setzen.
    Tyrone setzte sich neben ihn und sagte: »Du darfst das Ganze nicht so sehen, als hätte dir jemand die Seele herausgeschnitten. Betrachte es lieber als eine Art Schönheitsoperation. Wie eine Laserbehandlung zum Bleichen der Zähne! Oder willst du dein ganzes Leben lang so ein dämlicher, ständig von Skrupeln geplagter Schisser bleiben?«
    Jake starrte seinen Freund an. Seinen guten alten Freund. Seinen sterblichen und unsterblichen Feind. Die Welt drehte sich um eine Umkehrachse.
    »Ihr habt es bereits getan?«
    »Wir haben es bereits gemacht. Du hast sowieso im Koma gelegen, deshalb haben wir die Gelegenheit beim Schopf gegriffen.«
    »Aber wo … aber wozu? Ich bin doch schon Atheist.«
    »Bist du es? Oder warst du es?« Tyrone lächelte, und die

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