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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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seiner Pistole.
    Sen bedeutete dem Mann, zurückzutreten, und wandte sich Jake zu.
    »Sehen Sie das Ganze doch mal im Gesamtzusammenhang, Jake. Ein kluger mann muss immer alles im Gesamtzusammenhang sehen. Ist es etwa nicht wünschenswert, sich des ganzen Ballasts zu entledigen, des Mülls, des lästigen Bodensatzes der eigenen Persönlichkeit?«
    »Sie können mich mal.«
    »Mag sein. Aber wir haben dieses außerordentlich komplizierte Verfahren nicht an Ihnen angewendet, weil wir hofften, Sie würden hinterher ein sabbernder Kretin, ein tollwütiger Idiot wie Ponlok. Wir haben es nur deshalb gemacht, weil wir die Operationsmethode inzwischen perfektioniert haben. Dank Colin Fishwick, der weiß Gott ein phantastischer Neurochirurg ist, ist uns das endlich gelungen. Und Sie sind unser jüngster Erfolg, unser größter Erfolg. Endlich sind Sie von allem psychischen Ballast befreit, von Religion, von absurder Schuld und Scham und Selbsttäuschung. Wollen Sie davon denn nicht befreit sein? Wir alle müssen davon befreit werden.«
    »Lassen Sie mich bloß in Ruhe.«
    »Aber ich habe doch recht, oder nicht? Es wurde langsam Zeit, dass wir uns als Spezies weiterentwickeln. Gegenwärtig befinden wir uns noch auf der gleichen Stufe wie die Klamath. Vielleicht haben Sie schon einmal von diesem Volk gehört. Das ist ein in Oregon und im nördlichen Kalifornien ansässiger Indianerstamm. Sie sind mein liebstes Beispiel für die aberwitzige, zutiefst hinderliche Idiotie jeder Religion, Jacob. Die Klamath beten eine furzende Zwerggöttin an, die einen Hirschlederrock und einen Hut aus Weidengeflecht trägt, und jedes Mal wenn die Moskitos in der Pelican Bay besonders schlimm sind, bitten die Klamath ihre Zwerggöttin, den wilden Westwind auszufurzen, um die Moskitos zu vertreiben. Außerdem glauben Sie, dass die Welt aus einer winzig kleinen violetten Beere erschaffen wurde.«
    Jake spürte den eisigen Wind auf seiner Kopfhaut, an der rasierten Stelle, wo sein Haar, wo seine Seele gewesen war.
    »Sind wir auch nur einen Deut besser als die Klamath, Jacob? Sind wir das? Wenn wir die heilige Kommunion empfangen oder in Richtung Mekka beten oder mit dem dauergrinsenden Buddha Zwiesprache halten, tun wir doch letztlich auch nichts anderes, als die sechzig Zentimeter große Zwerggöttin zu bitten, die Moskitos wegzufurzen, oder?«
    Jake atmete ein; ihm verschwamm alles vor den Augen. Er versuchte, gegen dieses Schwindelgefühl anzukämpfen. Aber er wusste, es war aussichtslos. So unglaublich es sein mochte: Was passiert war, war passiert.
    Er stand auf, ging ein paar Meter und blickte über die stummen Schluchten zu den stummen Berggipfeln hinauf. Das Seltsame war, Tyrone hatte recht, er fühlte sich klarer im Kopf. Gelassener.
    Glücklicher.

45
    D as ist Balagezong. Wir haben uns wegen seiner Abgeschiedenheit für diesen Ort entschieden.«
    Sovirom Sen stand neben Jake.
    Jake sagte nichts. Er ließ die Wildheit der Landschaft auf sich einwirken.
    »Das Dorf Balagezong liegt so abgeschieden«, fuhr Sen fort, »dass die Einheimischen sogar eine eigene Sprache sprechen. Eine spezielle Form des Tibetischen, die sonst kaum jemand versteht. Bevor wir die unbefestigten Zufahrtsstraßen zum Labor angelegt haben, war man fünf Tage zu Fuß unterwegs, um zu den Schluchten zu gelangen. Und dann noch einmal fünf Tage bis zum nächsten Dorf. Das war für unsere Zwecke ideal.« Sen seufzte. »Bis vor kurzem. Vorerst leben und arbeiten wir noch in unberührter Isolation, aber jetzt wollen sie hier einen Naturschutzpark errichten. Sie werden die Labore auflösen und in Geschäfte umwandeln. Und dann werden Busse und Fremdenführer riesige Menschenmassen an den schönsten Ort der Erde bringen. In den letzten unberührten Landstrich Chinas. Weil in Beijing jemand mit dieser groß-artigen Landschaft Geld verdienen will. Heutzutage wollen alle nur noch Geld scheffeln.« Sen verzog das Gesicht. »Dieser Berg dort ist heilig. Der Weiße Buddhaberg. Faszinierend, nicht?«
    Jake betrachtete den majestätischen Berggipfel. Die schlanke und doch imposante graue Pyramide war ganz fein mit Schnee gestreift.
    »Sechstausendsiebenhundert Meter hoch. Der heilige Berg von Balagezong. Aber Sie werden von seiner Heiligkeit natürlich nichts mehr spüren, oder, Jacob?«
    Jake achtete sehr genau auf seine Empfindungen, auf seine neuen und unverfälschten Reaktionen, und mit nicht geringem Erstaunen, mit einem von weiterer Freude begleitetem Reflex, merkte er, dass er

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