Bienensterben: Roman (German Edition)
verbracht. Beim letzten Mal kam Nana Lou und hat ihn in seinem Schlafzimmer eingeschlossen. Er war so ein Schisser, hat nach seiner Mummy gerufen und alles. Aber sie ist nie zu ihm hin, außer um ihn zu füttern und ihm vielleicht eine zu klatschen.
Wie sich Nana Lou um uns gekümmert hat, das habe ich von meiner Kindheit am besten in Erinnerung. Ich erinnere mich auch an ihre Lieder. Sie war mal Sängerin in einer Kneipe gewesen, und nachdem Gene abgehauen war, hat sie auf Kreuzfahrtschiffen gesungen. Sie hatte eine Wahnsinnsstimme und stand auf Billie Holiday und Ella Fitzgerald. Patsy Cline und Dinah Washington, Zeug, das ich vorher nie gehört hatte. Als es Gene besser ging, haben sie die ganze Zeit zusammen gesungen. Meistens alte Songs. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Gene tanzen konnte. Bei Nana Lou wirkte er immer wie jemand anders, gar nicht wie Gene, und Izzy hat es gehasst.
Als Nana Lou ging, hat Gene eine Party für sie geschmissen. Er hat sich eine Karaokemaschine besorgt, und alle mussten mit Nana Macarena tanzen, auch Wildfremde, aber es hat Spaß gemacht. Macarena kann ich immer noch. Susie und Kimbo waren auch da, und wir haben Spice-Girls-Songs gesungen und Radler getrunken. Nana Lou mochte es, wenn ich gesungen hab. Es macht sie stolz, hat sie gesagt. Nelly wollte absolut nicht singen, und es hat sie auch keiner gezwungen, und irgendwann ist sie dann unter dem Küchentisch bei Izzys Füßen eingeschlafen.
Izzy fand die Party zum Kotzen und hat den ganzen Abend eine Fresse gezogen. Vor allem, weil sie keinen geraden Ton rauskriegte. Was sie aber nicht davon abgehalten hat, sich voll zum Obst zu machen und irgendein Liebeslied mit lauter Crescendos zu singen. Ein paar Leute haben gequält die Augen zugekniffen, ein paar haben gelacht, und Nana Lou hat ihr Grinsen hinter einer qualmenden Zigarette versteckt. Izzy hat sich so geschämt, dass sie sich auf dem Klo eingeschlossen hat, und die Gäste mussten in den Garten pinkeln.
Izzy war scheißeifersüchtig auf Nana, und nicht bloß wegen ihrer Stimme, sondern weil Gene bei ihr Sachen gemacht hat, zu denen Izzy ihn nicht bekam. Izzy hat immer gesagt, eine Mutter darf ihren Sohn nicht so lieben, wie Nana Lou Gene geliebt hat; sie meinte, wenn sie ihn weniger geliebt hätte, wäre Gene vielleicht ein besserer Mensch gewesen. Nana Lou hat das gehört, aber nichts gesagt. Sie wusste immer, wie sie Izzy anpacken musste. Sie wusste, wann sie reden musste und wann sie besser den Mund hielt. Nana hat Izzy behandelt wie einen Insektenstich, so einen von der Sorte, die nur schlimmer werden, wenn man daran kratzt. Keine Ahnung, was sie von Nelly hielt, aber sie hat ihr gern vorgelesen und ihr Stille beigebracht. Nelly zuckt andauernd mit dem Bein, vor allem, wenn sie schläft. Einmal haben wir mit Nana Lou einen Ausflug nach Rothesay gemacht, auf der »Wavery«. Das ist ein Raddampfer. Wir waren auf dem Clyde, sind einfach nur rumgeschippert, und da hat sie gesagt: »Stille ist Macht, Kinder.« Hat mich schwer beeindruckt, dieser Satz, ich weiß zwar nicht mehr, warum sie ihn gesagt hat, aber ich hab ihn nie vergessen. »Seht euch das Wasser an«, hat sie zu uns gesagt. »Wenn es reden könnte, würdet ihr es weniger mögen.« Mir gefiel das, was sie sagte. Ich mochte es, mir übers Haar streicheln und meine Haut bewundern zu lassen, ich mochte es, dass sich jemand meine Geschichten angehört hat, mich wahrgenommen und geliebt hat. Selbst nach all den Jahren bedeuten mir Lous Worte mehr als die, über die ich jetzt nachdenke.
Lou ist sechs Monate bei uns geblieben, dabei sollte sie eigentlich länger bleiben, aber dann ist irgendein William krank geworden. Gene war fuchsteufelswild. Er hatte diesen William gefressen, wer auch immer er sein mochte. Ich weiß noch, dass sie sich gestritten haben wegen ihm, und Lou hat geweint, aber dann haben sie sich wieder vertragen. Ungefähr ein Jahr später hat Izzy uns gesagt, dass Lou gestorben ist. Sie hatte einen Herzinfarkt. Wir sind nicht zur Beerdigung gegangen, Izzy hat uns nicht gelassen, und Gene war auch nicht da, weil, da saß er gerade im Knast.
Nelly
Unser Telefon ist tot. Einfach so. Wir können weder auf der Polizeiwache anrufen noch einen Krankenwagen rufen. Hat man denn so etwas schon einmal gehört? Eine Katastrophe, so viel steht fest.
Wohin fließt unser ganzes Geld, möchte ich wissen? Mutter und Vater haben uns doch sicherlich etwas hinterlassen. Ohne Zweifel eine klägliche Summe, aber doch
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