Bienensterben: Roman (German Edition)
Wörtchen mit ihr reden, aber was geht mich schon etwas an? Wenn sie es mir doch nur sagen würden. Vielleicht amüsieren sich die Eltern auch in der Sonne. Höchstwahrscheinlich liegen sie betrunken irgendwo am Strand, genau wie letztes Mal, aber sie sind jetzt über einen Monat weg, und das ist schon eigenartig, findest du nicht? Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal einen von ihnen gesehen habe. Nicht, dass sie mir fehlen würden, aber wie lange wollen sie diese Kinder denn noch sich selbst überlassen?
Ich frage mich, ob sie wohl in den Ferien mit mir an den Loch fahren würden. So ein Ausflug würde ihnen sicher unheimlich gut tun; es ist herrlich dort im Frühjahr, mitten im Nirgendwo zwar, aber so friedlich, ein wirklich einzigartiger Ort. Ein kleiner Urlaub könnte mir nicht schaden, ich bin so vergesslich in letzter Zeit. Sicher, wenn diese Rabenaase von Eltern plötzlich wieder auftauchen, komme ich wegen Entführung auf die Titelseite der Sun . Ich frage die Mädchen einfach mal, was sie davon halten. Es wäre eine Stärkung für uns alle, eine wahre Stärkung.
Marnie
Meine Beratungslehrerin Mrs. MacLeod (mittleres Alter, »was tut man nicht alles für die Bauern von Maryhill«) hat gesagt, nur meine Lernbegabung würde mich davon abhalten, vollends in die Kriminalität abzurutschen. Wie Nelly besitze ich offenbar Qualitäten, die sie für verschwendet hält bei einem Mädchen »mit einem so hochzerstörerischen Temperament« – das hat sie ohne Scheiß so in mein Zeugnis geschrieben –, soll heißen, dass ich rauche und trinke und Abtreibungen hatte; nur eine, aber trotzdem. Ich muss wenig oder praktisch nichts für meinen Einserschnitt tun, und dafür verachten sie mich, vor allem, weil sie es sich nicht als Verdienst anrechnen können; mit anderen Worten, Intelligenz sollte die Belohnung für die jungfräulichen Nichtraucherinnen dieser Welt sein und nicht an irgendeinen moralisch verlotterten Teenager mit toten Junkies im Garten verschleudert werden.
Schule ist zwar ätzend, aber ich bin trotzdem gern dort, besonders nach den Feiertagen, die waren für mich immer die schlimmste Zeit im Jahr, andauernd Gene und Izzy mit ihrem bekackten Weihnachtsgetue um mich rum. Ich mag das Geregelte an der Schule. Die Routine. Irgendwie hat die Schulklingel was Tröstliches, und meine Freundinnen seh ich da natürlich auch. Susie und Kimbo. Klar seh ich die auch so, aber nicht alle auf einmal. Schule ist eine bequeme Möglichkeit für uns, alle an einem Ort zusammenzukommen, und außerdem gibt es umsonst Mittagessen.
Mrs. MacLeod zufolge umgebe ich mich absichtlich mit »unerwünschten Elementen, die meine Entwicklung sabotieren«. Mrs. MacLeod weiß natürlich einen Scheiß über die Elemente um mich herum, von denen ich mir einige auch nicht aussuchen konnte.
Jedenfalls hat Mrs. MacLeod es vor Weihnachten so eingefädelt, dass ich mich mit Wendy Carter und Lorna Holland treffe, damit ich mich bei den erwünschten Elementen der Schule integriere, den Vorbildlichen, Mädchen, die nach White Musk und Zahnpasta riechen. Wir haben uns in der Bibliothek getroffen und sollten eine Lerngruppe bilden. Es war voll der Krampf, wir hatten so ungefähr gar nichts gemeinsam. Ihre Eltern sind Steuerberater und Anwälte, und meine sind im Garten begraben. Jedenfalls hat Wendy vorgeschlagen, dass wir unten bei Burger King Mittag essen, wozu sie dann auch großzügig eingeladen hat, und dann sind wir durch den Botanischen Garten spaziert. Und ich zuerst so: Oh mein Gott, ich sterbe vor Langeweile , bis Lorna eine Schachtel Zigaretten und einen Flachmann mit Wodka und Granatapfelsaft aus den Tiefen ihrer Louis-Vuitton-Tasche gegraben hat, und als es gerade chillig wurde, hat Lorna alles mit dem Arsch wieder eingerissen und von den Antioxidantien im Granatapfel angefangen, und wie gut die für die Haut und die Figur wären, so als würden wir das Zeug deshalb trinken. Das Ding bei Lorna ist, sobald du dich in ihrer Gegenwart locker machst, ödet sie dich voll an, und so ungefähr eine halbe Sekunde denkst du: Was mach ich eigentlich hier mit dieser Schlaftablette? , dann bietet sie dir eine Kippe an und du denkst: Ach na ja, eigentlich ist sie ja doch ganz okay, aber gleichzeitig denkst du: Sie ist trotzdem eine dumme Kuh .
Klar kann man nicht alles von außen beurteilen, zum Beispiel sind die »Vorbildlichen« gar nicht so »vorbildlich«, wie es zuerst aussieht. Ein bisschen geschockt war ich ja schon,
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