Biest: Thriller (German Edition)
Ein U-Boot war in diesen Gewässern nichts Ungewöhnliches, auch wenn es Kommandanten hassten, aufgetaucht erwischt zu werden. Es lag ihnen im Blut, sich ungesehen zu bewegen, und es galt selbst in Friedenszeiten als Niederlage, mit heruntergelassenen Hosen erwischt zu werden, schließlich hätten sie in einer realen Konfliktsituation ein echtes Problem, wenn sie von einem Flugzeug aufgetaucht erwischt wurden, denn sie hätten, auf sich alleine gestellt, der Bedrohung von oben nichts oder nur sehr wenig entgegenzusetzen. Alles hing davon ab, ob die Männer in dem Flugzeug auch das Schlauchboot entdeckten. Das würde ihnen die Gewissheit liefern, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Aron presste jetzt das Letzte aus den Motoren heraus, und das kleine Boot war kaum noch zu kontrollieren. Der Aufklärer war jetzt deutlich zu erkennen, er hatte seine Flughöhe verringert und kam wie eine aggressive Wespe auf sie zu. Mittlerweile musste auch der Kapitän des U-Boots wissen, dass sie Gesellschaft hatten, und wie auf Bestellung meldete sich das Funkgerät, das Marcel immer noch in der Hand hielt, mit dem vereinbarten Rufzeichen.
»Biber ruft Sperling«, quäkte es aus dem kleinen Lautsprecher. Marcel blickte zu Aron: »Was soll ich ihm antworten?« Auf dem Turm des U-Boots waren mittlerweile zwei Männer zu sehen.
»Einstieg in zwei Minuten an der hinteren Luke«, schrie Aron. Marcel gab es weiter, während er sorgenvoll gen Himmel blickte.
»Bestätigt. Aber länger können wir nicht warten. Geschätzte Ankunft der Antonov: T-2 Minuten, 50 Sekunden!«, kam es wenige Sekunden später zurück. Die Stimme aus dem Funkgerät klang nervös. Sie lagen inzwischen längsseits, eine meterhohe Wand aus Stahl versperrte ihnen die Sicht auf das Flugzeug. Sie konnten sich nur auf ihr Gehör und den Kapitän verlassen. Aron hatte Mühe, das Zodiac auf exakt der gleichen Geschwindigkeit wie das U-Boot zu halten. Offenbar wurde das Schiff zunehmend langsamer. Dann tauchte eine Aluleiter über ihren Köpfen auf. Sie bog sich wie von selbst um die Röhre und rastete ein. Aber kommunizieren konnten sie mit ihren Rettern auf Deck nicht.
»Dimitrij, du zuerst!«, brüllte Aron. Der bleiche und immer noch von Seekrankheit gezeichnete Russe griff nach der Leiter. Er konnte kaum auf zwei Beinen balancieren, aber es gelang ihm schließlich doch, sich an den Seilen nach oben zu ziehen und einen Fuß auf die unterste Sprosse zu setzen. Keine zwanzig Sekunden später verschwand er über die gewölbte Bugform aus ihrem Blickfeld. Sie hatten die Reihenfolge ihrer Evakuierung vorher festgelegt, und so stand Maja bereits unter der Leiter, als ihr Aron den Befehl gab. Sie hatte keine Mühe, sich hochzuschwingen, und kletterte behände in Richtung rettendes Oberdeck. Bevor Marcel nach der Leiter griff, drückte er Aron das GPS und das Funkgerät in die Hand. Er nickte, und Marcel machte sich an den Aufstieg. Als er die dritte Sprosse erklommen hatte, hörte er, wie das Funkgerät quäkte: »Sperling, Ihre Zeit läuft ab.« »Ich weiß«, hörte Marcel den Israeli mit zusammengebissenen Zähnen antworten, bevor er außer Hörweite war. Der Flugzeuglärm war nun beinah ohrenbetäubend, es musste fast über ihnen sein. Zwei ungleiche Kriegsgegner. Auf ihrer Seite der leise, schleichende Attentäter, auf Seite der Russen der schnelle, aggressive Raubvogel. Plötzlich, kurz bevor er das rettende Deck erreichte, geriet das Boot ins Schlingern, und Marcels linker Fuß rutschte ab. Sein Herz blieb fast stehen, als er sich mit aller Kraft an die Sprosse klammerte. Das scharfkantige Metall schnitt durch seinen Handschuh. Panik stieg in ihm auf. Er würde abstürzen. Wie gelähmt hing er einige Sekunden in dem Seil, während das Flugzeug immer näher kam. »Kletter weiter, Arschloch!«, schrie eine Stimme von unten. Er hörte es über die Gischt wie gedämpft. Marcel ruderte mit den Füßen, um wieder Halt auf der glitschigen Sprosse zu finden. »Worauf wartest du, willst du, dass wir hier alle verrecken?« Weiter, Marcel. Du hast schon wichtige Sekunden verloren, peitschte er sich an. Wasser spritzte ihm ins Gesicht, als sein Fuß endlich wieder sicheren Halt gefunden hatte. Seine Knie zitterten. Er musste nach oben. Verzweifelt streckte er den rechten Arm nach der nächsten Sprosse aus, als ihn plötzlich jemand am Handgelenk umklammerte und auf das erstaunlich schmale Deck des U-Boots zog, das keinerlei Sicherung oder Reling aufwies. Marcel blickte
Weitere Kostenlose Bücher