Biest: Thriller (German Edition)
und stiegen in das schwankende Schlauchboot. Aron kletterte als Letzter über sie hinweg und nahm seinen Platz am Steuer ein. Sein Freund, der namenlose Surfer, stieß sie in Richtung offenes Meer, und wenige Sekunden später begannen die Motoren im Leerlauf leise zu blubbern. Aron reckte die Faust zum Dank in den pechschwarzen Himmel und gab langsam Gas. Vorsichtig glitt das kleine Boot über die Gischt, es hüpfte leicht über den brechenden Wellen und nahm Kurs auf das offene Meer. Schon wenige Minuten später war kein Land mehr zu sehen, das Nichts hatte sie verschluckt.
Sechs Stunden später war von der anfänglich beinahe aufgekommenen Romantik unter den Insassen des Schlauchboots nichts mehr zu spüren. Yael und Dimitrij hingen, auf den Boden gerutscht, mit bleichen Gesichtern buchstäblich in den Seilen und Marcel ging das monotone Brummen der Motoren auch allmählich auf die Nerven. Die See war inzwischen deutlich rauer geworden, und das Boot kämpfte sich in immer gleichen Abständen durch die Wellentäler. Zwar wurde er nicht seekrank wie die anderen beiden, aber das ständige Auf und Ab machte die Aufgabe, die Aron ihm zugeteilt hatte, nicht gerade leichter. Auf jedem Kamm suchte er mit dem starken Fernglas den Horizont nach Schiffen ab. Er vermutete inzwischen, dass ihre Tätigkeiten mehr der Ablenkung als ihrer Mission dienen sollten, denn er würde vermutlich auch einen Atomkreuzer übersehen. Sie waren mittlerweile weit außerhalb der Hoheitsgewässer Russlands, und auch die Anschlusszone, in der sie befürchten mussten, von russischen Schiffen kontrolliert zu werden, hatten sie bereits verlassen. Marcel bezweifelte jedoch, dass sich Anatoli vom Seerecht abhalten lassen würde. Obwohl er an der Sinnhaftigkeit zweifelte, strengte er sich auch beim nächsten Wellenkamm wieder an, nur um das Fernglas frustriert sinken zu lassen, als er plötzlich bemerkte, dass Aron den Motor abstellte. Scheinbar urplötzlich schaukelte das Boot durch und drehte sich zwischen zwei Wellen zur Seite. Dimitrij stöhnte, und Marcel hatte das Gefühl, dass er noch ein wenig blasser geworden war. Und er musste zugeben, dass der abrupte Wechsel in der Bewegung auch in seinem Magen ein flaues Gefühl verursachte.
»Wir sind da«, bemerkte Aron. »Zumindest in etwa.«
»Kein GPS?«, ätzte Yael und drehte sich auf die Seite.
»Doch, aber auf See ist das alles nicht ganz so exakt. Vor allem wenn es darum geht, ein U-Boot auftauchen zu lassen, möglichst auf einem ganz bestimmten Punkt. Wir reden hier ja nicht davon, ein Auto einzuparken.«
Yael antwortete nicht, und auch Marcel fragte sich, wie lange er die Schunkelei in der Nussschale zwischen den Wellen noch aushalten würde. Aron schien zu bemerken, dass die Stimmung kippte, und vermutlich wusste er als Commander, dass auch das Verbreiten guter Laune zu seinen Aufgaben gehörte, bevor es ernst wurde. Oder zumindest das Vertreiben von Langeweile.
»Wusstet ihr, dass dieses Gewässer unter uns im Kalten Krieg eines der meistumkämpften Seegebiete der Welt war?«
Vier Augenpaare starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren, hier mitten auf dem offenen Meer eine Geschichtsstunde abzuhalten, aber Aron ließ sich nicht beirren.
»Aber eben nur unter dem Meer. Es war das Meer der Spione, der Muränen, die sich gegenseitig belauerten. Murmansk war der wichtigste U-Boot-Hafen der russischen Nordmeerflotte und Stützpunkt der für die Sowjetunion überlebenswichtigen Atom-U-Boote, die für den Fall eines atomaren Erstschlags zum Gegenangriff ausholen sollten, um die Welt zu vernichten.«
Eine weitere Welle hob das kleine Boot bis auf ihren Kamm und entließ es dann ins nächste Tal. Marcel hatte das Gefühl, das Meer gierig schmatzen zu hören, als wartete es nur darauf, dass sie endlich kenterten.
»Natürlich wussten das auch die Amerikaner, und deshalb haben sie ihrerseits ihre Boote hierherverlegt, um die Russen auszuspähen. Ihr könnt davon ausgehen, dass selbst heute noch irgendwo unter uns sechs oder acht Atom-U-Boote umeinanderfahren und sich gegenseitig auflauern. Genauso war es auch am Tag, als die Kursk zu einem Manöver auslief. Als sie gesunken war, haben die Russen sogar behauptet, ein amerikanisches U-Boot hätte sie…« Der Rest seines Satzes ging im Piepen seines Funkgeräts unter. Die HMS Halland. Es konnte nur die HMS Halland sein, dachte Marcel und schöpfte Hoffnung.
»Sie tauchen auf, wir sind noch etwa zwei Seemeilen zu weit östlich«, sagte
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