Biest: Thriller (German Edition)
in den Himmel. Die Russen waren keine hundert Meter mehr entfernt – und langsam dürften sie begriffen haben, dass es sich bei ihrem Manöver um eine Exfiltration handelte. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, begannen die Russen zu feuern. Eine Maschinengewehrsalve strich noch über seinen Kopf hinweg. Es würde nicht lange dauern, bis sie sich eingeschossen hatten. Und Yael und Aron saßen noch immer auf dem Zodiac fest. Die zweite Salve peitschte über das Deck, die Geschosse trafen die stählerne Hülle keine fünf Meter von ihm entfernt. Panisch versuchte er aufzustehen, als ihn erneut die kräftige Hand am Arm packte und nach ein paar Schritten über das rutschige Deck nach unten in eine Luke drückte. Er stellte fest, dass er seinen Retter gar nicht wahrgenommen hatte und sich stattdessen darüber wunderte, dass der Stahl des Rumpfs gar nicht so dick war, wie er vermutet hatte. Seine Füße fanden Halt auf der Sprosse einer zweiten Leiter, als weitere Geschosse die Hülle trafen, es hörte sich an, als schlügen sie genau an der Stelle ein, wo sich sein Kopf befand. Waren Yael und Aron mittlerweile auf dem Deck? Er stellte sich vor, wie Yael auf dem rutschigen Stahl kauerte und eine Maschinengewehrsalve ihren Oberkörper zerfetzte. Ihr Leib zuckte von den Einschlägen und stürzte dann in die eiskalten Fluten. Mitten in seinen Gedanken stolperte Marcel die kurze Metallleiter hinab und landete auf dem Boden eines mit Rohren und Leitungen vollgestopften Raums. Eine Alarmsirene schrillte, nicht einmal besonders laut. Offenbar begann das Boot bereits wieder zu tauchen. Dann erwischte ihn ein Schwall eiskalten Seewassers von oben, und ein nasser Körper in einem ihrer schwarzen Thermoanzüge fiel neben ihm auf den Boden. Dann hörte er, wie die Luke von innen geschlossen wurde, und der Seemann von Deck kam in seinem Ölzeug die Leiter heruntergestiegen. Einer von ihnen hatte es nicht geschafft. Mit zitternden Händen griff Marcel nach der schwarzen Sturmhaube und zog sie vom Kopf.
KAPITEL 48
Heilbronn, Deutschland
04. Februar 2013, 06.38 Uhr (am nächsten Morgen)
»… betonen, dass derzeit weder von der ausgetretenen Strahlung am Atommeiler Neckarwestheim II noch von der radioaktiven Wolke über Süddeutschland eine Gefahr für die Bevölkerung ausgeht. Leif Schüler ist Strahlenexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Herr Schüler, wie bewerten Sie den schwersten Atomunfall in der Geschichte der Bundesrepublik?«
»Nun, es ist mehr als verständlich, dass die Regierung in der jetzigen Situation versucht, die Lage zu beschönigen. Nichtsdestotrotz muss ich darauf hinweisen, dass es genau ein solcher Unfall war, vor dem wir in den letzten Jahrzehnten gewarnt haben. Ich denke, die Regierung weiß überhaupt noch nicht, welchen Risiken sie die Bevölkerung mit ihrer voreiligen Entwarnungstaktik aussetzt. Die aktuellsten Messwerte liegen zumindest in der Nähe des Kraftwerks sehr hoch.«
»Sie glauben also, dass es für die Menschen in der Umgebung des Kraftwerks möglicherweise nicht ausreicht, die Fenster geschlossen zu halten und sich nicht ins Freie zu begeben?«
»Das weiß ich nicht, aber ich kann die Menschen verstehen, wenn sie versuchen, sich Richtung Norden des Landes abzusetzen. Ich würde mich jedenfalls nicht in Sicherheit wiegen.«
»Mit welchen Folgen haben denn Menschen zu rechnen, die einer erhöhten Strahlung ausgesetzt werden?«
»Nun, das hängt ganz davon ab, ob die Strahlung in den Körper gelangt oder ausschließlich von außen auf den Körper einwirkt. Bei der Aufnahme, beispielsweise durch Einatmen, ist eine unmittelbare körperliche Gefahr nicht ausgeschlossen. Geschieht dies nicht, sind die Folgend langfristiger. Genaue Studien darüber sind jedoch …«
»… Uns interessieren genau diese langfristigen Folgen, Herr Schüler. Welche Krankheitsbilder wären denn da zu erwarten?«
»Nun ja, von hunderttausend Liquidatoren, die damals der Strahlung von Tschernobyl ausgesetzt waren, erkrankten unmittelbar etwa ein fünftel, zwanzig Jahre später waren es schon über neunzig Prozent. Aber natürlich sind das alles nur statistische …«
»…Und welche Erkrankungen sind dabei zu erwarten? Auch hier bei uns, in unserer Bevölkerung?«
»Schilddrüsenkrebs, Leukämie, Erkrankungen der Atemwege, häufig eine Kombination verschiedener Krankheitsbilder. Wobei keine exakten Studien vorliegen, nur ein Teil der Menschen, die damals ihr Leben aufs Spiel setzten,
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