Big Sky Country - Das weite Land (German Edition)
in der Wohnung noch einiges getan werden musste, schüttelte Joslyn ihre Nostalgie ab und begann, ihr Hab und Gut einzuräumen.
Nachdem sie das erledigt hatte, schleppte sie Lucy-Maudes Sachen in ihr neues Domizil. Zu guter Letzt trug sie eine beleidigt maunzende Lucy-Maude in einem Pappkarton hinüber, dessen Deckelklappen sie ineinandergesteckt hatte, damit die Katze nicht flüchten konnte. Dann ließ Joslyn die missmutige Lucy-Maude in der kleinen Wohnung, die sie sich bis zu Kendras Rückkehr teilen würden, aus dem Karton.
Vorsichtig machte sich der Vierbeiner auf Entdeckungstour und sah sich das kleine Schlafzimmer, das Retro-Bad und den geheimnisvollen Bereich hinter dem Sofa an.
Joslyn beschloss, dass sie die paar Lebensmittel, die sie im Gästehaus gelassen hatte, später holen würde. Ihre Mittagspause war vorbei, und nun hieß es, zurück an die Arbeit. Nicht, dass im Immobilienbüro übermäßig viel zu tun gewesen wäre …
Sie wusch sich nochmals die Hände, überließ Lucy-Maude ihren Erkundungen und ging durch die Küche und das Esszimmer in das ehemalige Wohnzimmer, von dem aus Kendra ihre Firma leitete.
Eine stämmige grauhaarige Frau in einer Caprihose, einer ärmellosen Bluse und ausgewaschenen Turnschuhen stand im Türbogen. Joslyn erschrak ein wenig, da sie niemanden kommen gehört hatte. Die Augen der Besucherin waren blau und klar wie ein Bergsee, ihr Blick ruhig. Ihre Haut sah trotz der Falten rosig und frisch aus. Alles an ihr strahlte und ließ auf einen liebenswürdigen Charakter schließen.
Wie schon bei vielen anderen Leuten in Parable hatte Joslyn auch bei dieser Frau das Gefühl, sie von früher zu kennen.
„Ich bin Martie Wren.“ Die Besucherin streckte Joslyn zur Begrüßung die rechte, vom Arbeiten schwielige Hand entgegen.
Lächelnd trat Joslyn auf sie zu. „Joslyn Kirk“, sagte sie und schüttelte Martie die Hand. „Falls Sie Kendra suchen – ich fürchte, sie kommt erst in ein paar Tagen wieder ins Büro.“
Wochen? Monaten?
„Eigentlich suche ich Sie“, unterbrach Martie sie fröhlich. „Ich leite das Tierheim ‚Paws for Reflection‘ und bin wegen der Katze hier, die Ihnen zugelaufen ist. Sie haben ein Bild von ihr auf unserer Website gepostet, nicht wahr?“
Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte Lucy-Maude bereits lieb gewonnen und wollte sie nicht mehr hergeben. „Kommen Sie bitte herein“, meinte sie mit einem gezwungenen Lächeln zu Martie. „Setzen Sie sich.“
„Ich kann nicht lange bleiben“, erwiderte Martie sofort. „Unsere Schützlinge im ‚Paws‘ halten uns ganz schön auf Trab, und ich muss noch jede Menge erledigen, bevor ich ans Hinsetzen überhaupt denken kann.“
Joslyn lächelte immer noch, obwohl sie sich fast sicher war, dass Martie hier war, um Lucy-Maude abzuholen und ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzubringen. Die Vorstellung zerriss ihr fast das Herz.
Prüfend sah Martie sie an. „Mir scheint, Sie sind von dieser Katze ziemlich angetan.“
„Ja, ziemlich“, gab Joslyn zu. Das war die Untertreibung des Tages. „Aber ich habe mir schon gedacht, dass jemand sie vermisst. Sie kommt mir nämlich nicht verwahrlost vor.“ Trächtig, nicht verwahrlost.
„Ich würde sie mir gern mal anschauen. Sie sozusagen persönlich kennenlernen.“ Martie zwinkerte. „Ich weiß, dass Sie ein Foto von ihr auf unsere Website hochgeladen haben, aber es gibt viele graue Katzen auf der Welt. Falls es diejenige ist, von der ich vermute, dass sie es ist, gab es sehr wohl Leute, die sich um sie gekümmert haben. Doch das bedeutet ja nicht unbedingt, ein richtiges Zuhause zu haben und geliebt zu werden, nicht wahr?“
Ein richtiges Zuhause zu haben und geliebt zu werden.
Was für eine schöne Vorstellung.
„Hier entlang.“ Joslyn führte Martie in den ehemaligen Personaltrakt.
Lucy-Maude thronte – majestätisch wie Cleopatra auf ihrer legendären Barke – auf dem Lehnsessel in Opals früheremWohnzimmer. Als Joslyn und Martie hereinkamen, streckte sie sich genüsslich.
„Sieh einer an …“ Martie ging langsam auf die Katze zu und streckte ihr eine Hand entgegen, damit Lucy-Maude sie beschnüffeln konnte. „Das ist ja tatsächlich Carlotta.“
„Carlotta?“, wiederholte Joslyn ungläubig und merkte sofort, wie idiotisch sie sich anhören musste. Lucy-Maude war schließlich nicht mit dem Namen, den sie ihr gegeben hatte, auf die Welt gekommen. Warum also war es so ein Schock für sie, wenn jemand die Katze anders
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