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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Migräne und Partys aufgestaut hatte.
    Die Flure in diesem Bereich waren vergleichsweise schmal. Er stemmte die Füße gegen eine Wand und die Hände gegen die andere, stieß sich so fest ab, daß er in der Luft blieb und »ging« an den Wänden hinauf, bis er mit dem Rücken die Rohrleitungen an der Decke berührte, dann »ging« er um die Ecke herum und den Flur zu der Stahltür hinab. Normalerweise fand man an den Decken des Plex als einzige Lebewesen Fledermäuse, daher hatte die kleine Videokamera über der Tür den Boden im Visier. Schließlich konnte Casimir die Hände direkt auf die Wandhalterung der Kamera legen und die Füße in eine Spalte zwischen einer Leitung und der Decke auf der anderen Seite des Flurs schieben. Es war keine besonders bequeme Haltung, aber er öffnete dennoch mit einer Hand seinen Gürtel. Nach fünf Minuten, in denen er häufig beide Arme ausruhen mußte, konnte er den Gürtel über ein anderes Rohr legen und unter der Taille wieder zuknöpfen, so daß er jetzt eine unbequeme, aber stabile Tragevorrichtung hatte.
    Nach einer halben Stunde schwenkte die Videokamera vor seinem Gesicht mißtrauisch hin und her. Casimir löste die Gürtelschnalle. Das Schloß wurde klickend geöffnet, und ein alter Mann mit einer Pistole kam heraus. Casimir ließ sich einfach fallen, riß die Waffe an sich, warf sie hinter sich in den Raum und zerrte den Schmied ins Innere. Während der Mann wieder zu Atem kam, filzte Casimir seine Taschen und nahm ihm eine Kette voller Schlüssel ab.
    Nach einer Weile richtete sich der Schmied auf. »Auf wessen Seite stehen Sie?« fragte er.
    »Auf keiner Seite. Ich befinde mich auf einer Queste.«
    Der Schmied, der offenbar wußte, worum es sich bei einer Queste handelte, nickte. »Was wollen Sie von mir?« fragte er.
    »Die Hauptschlüssel und ein Quartier für die Nacht. Sieht so aus, als hätte ich beides.« Casimir warf die Schlüssel in der Hand hoch. »Wohin wollten Sie mit diesen Schlüsseln?«
    Der Schmied richtete sich auf und sah plötzlich rechtschaffen entrüstet aus. »Ich wollte sie aus dem Plex hinausbringen, junger Freund! Hören Sie zu. Ich habe nicht fünfunddreißig Jahre hier gearbeitet, damit ich die Hauptschlüssel beim ersten Anzeichen von Ärger an den Meistbietenden abgebe. Ich wollte sie aus dem Plex schaffen und in Sicherheit bringen. Der Teufel soll Sie holen, wenn Sie mich verdächtigen. Geben Sie sie wieder her.«
    »Dann habe ich kein Recht, sie an mich zu nehmen«, sagte Casimir und drückte dem Schmied die Schlüssel in die Hand. Der Mann trat erst furchtsam, dann erstaunt zurück.
    Ein hoher Knall ertönte, und der Schmied fiel zu Boden. Casimir rannte zur Tür, wo ein einzelner Typ mit einem Repetiergewehr verzweifelt versuchte, eine zweite Patrone in das Patronenlager zu bekommen. Casimir nagelte ihn mit dem Florett fest, kickte ihn einfach auf den Flur hinaus, schnappte sich das Kleinkalibergewehr und verriegelte die Tür.
    Der Schmied richtete sich mühsam auf und zog etwas Glänzendes aus der Socke. Der große Schlüsselring lag noch auf dem Boden, wo er ihn fallengelassen hatte. Jetzt hielt er sieben einzelne Schlüssel in der Hand und sah mit dem distanzierten Blick eines Sterbenden durch das vergitterte Fenster zu den Millionen Lichtern der Stadt. Casimir lief zu ihm und stellte sich vor ihn, aber als er sah, wie sein Schatten auf das Gesicht des Mannes fiel, kniete er nieder.
    »Fünfunddreißig Jahre habe ich nach jemandem gesucht, der würdig wäre, meine Nachfolge anzutreten«, flüsterte der Schmied. »Ich dachte, es würde mir nie gelingen, weil alles vor die Hunde geht. Und hier, in den letzten fünf Minuten … hier, mein Junge, ich übertrage Ihnen meine Verantwortung.« Er öffnete die Hände und ließ die Schlüssel in die von Casimir fallen. Dann ließ er die Hände sinken und starb. Casimir legte ihn behutsam auf die Werkbank und verschränkte seine Arme über dem Herzen.
    Nachdem er den Lauf des Gewehrs in einem Schraubstock zusammengedrückt hatte, machte es sich Casimir auf einer benachbarten Werkbank gemütlich und schlief.
    Auch wenn Casimir glaubte, daß sich Sarah und Hyacinth in Sicherheit befanden, waren sie doch nur relativ sicher, als sie mit Lucy E12S verließen. Ihr Ziel war das Frauenzentrum, und ihr Weg führte durch einen jungen und desorganisierten Krieg.
    Zuerst gingen sie zu meiner Suite – ich hatte Lucy einen Schlüssel gegeben. Dort blieben sie zwei Stunden, borgten sich Kleidung, aßen,

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